Autor: | Scholtz, Harald |
Titel: | Literaturbericht zur Instrumentalisierung von Internatsschulen im 2. Weltkrieg, Teil 1: "Ausleseschulen" |
Erscheinungsjahr: | 2000 |
Text des Beitrages: |
Dreißig Jahre ist es her, dass der "Dokumentarbericht" von Horst Überhorst erschien: "Elite für die Diktatur" (1969), kurz darauf die Jenenser Dissertation von Erhard Naake: "Zur Theorie und Praxis der Erziehung in den Nationalpolitischen Erziehungsanstalten und ähnlichen faschistischen ``Eliteschulen´´(1970) und bald auch "NS-Ausleseschulen, Internatsschulen als Herrschaftsmittel des Führerstaates" (1973) vom Verfasser dieses Berichts. Seither hat sich die Deutung der vom NS-Regime in charakteristischer Weise strukturierten Internats- bzw. Lagerschulen als "Eliteschulen" in der Öffentlichkeit durchgesetzt, mithin auch das (getäuschte) Selbstverständnis ihrer damaligen Zöglinge. Dagegen kann sich der Hinweis auf die Willkürherrschaft und der Nachweis einer Erziehungspraxis, die mit allen deutschen Traditionen der Elitebildung brach, kaum in den Medien Geltung verschaffen. Die hier vorzustellenden Darstellungen der Erziehungspraxis vornehmlich aus der zweiten Hälfte des Krieges liefern Belege dafür, dass weder auf der Seite der SS noch gar Hitlers die Konsolidierung einer neuen Elite anvisiert, vielmehr die Bereitschaft vorbereitet wurde, sich vorbehaltlos dem Moloch Krieg anheim zu geben. Anstelle einer Neuauflage des seit vielen Jahren vergriffenen Buches "NS-Ausleseschulen", die nicht in Aussicht steht, möchte ich auf diesem vornehmlich von den Jüngeren genutzten Weg der Information auf die weitergeführte Diskussion unter m.E. fragwürdigem Vorzeichen hinweisen. Erinnerungsarbeit ist seither im Medium Fernsehen (Hessischer Rundfunk, ZdF) und in Romanform geleistet worden, etwa über die Praxis der Napola Potsdam Hans Müncheberg: "Gelobt sei, was hart macht"(1991) oder für die Adolf-Hitler-Schulen in der "Ordensburg" Sonthofen Hardy Krügers: Junge Unrast (l983). Mit prominenten Namen wie Hardy Krüger, Rüdiger von Wechmar oder Martin Bormann jun. hat Johannes Leeb mit dem Titel "Wir waren Hitlers Eliteschüler" (l998) einen Band mit Stellungnahmen ehemaliger Zöglinge der verschiedenen Schulverbände herausgebracht, welche im Nachwort des Bandes von Elke Fröhlich vom Institut für Zeitgeschichte kurz charakterisiert werden. Ausdrücklich wird vermerkt, dass sie sich nicht in den Dialog mit den Texten begeben wollte. Das ist zu bedauern, denn so bleibt der einzige Text einer Frau, von Hertha von Bergh, ohne Kommentar. Die schnell folgende zweite Auflage, in Form eines Taschenbuches bei Heyne, hätte dazu Gelegenheit geboten, wurden doch ganze Beiträge glücklicher Weise ausgewechselt. Doch Frau Fröhlich bleibt dabei, dass sie die Bezeichnung "Reichsschule" nur der Feldafinger zuerkennen möchte, während Frau Bergh auf einer "Reichsschule SS" gewesen sein will. (S.209) Freilich gab es neben den Reichsschulen der NSDAP auch solche der SS, etwa in den Niederlanden und in Flandern. Hier handelte es sich allerdings um eine Schule für Südtiroler. Eine Bezugnahme auf den Aufsatz von Ursula Aumüller-Roske über die Napola für Mädchen in dem von ihr herausgegebenen Sammelband "Frauenleben, Frauenbilder, Frauengeschichte (1988) wäre hilfreich gewesen. Kürzlich ist als Bestätigung dieser Nachforschungen ein ausführlicher Aufsatz von Gundula Werger in der Frankfurter Rundschau erschienen: "Man schafft mehr, wenn man Disziplin einhält."(15.4.2000, Nr.90, ZB 5). Dieser Artikel charakterisiert einleitend die Nonchalance des damaligen Machthabers, mit der er einer ehrgeizigen Erzieherin verspricht, ihr eine Schule zu besorgen, welche sie dann in der "requirierten Haushaltungsschule der Kreuzschwestern in Hegne bei Allensbach" am Zeller See tatsächlich bekam. Dem Text ist mehr das Erstaunen aus der Erinnerungsperspektive der einstigen Schülerinnen über die scheinbare Liberalität zu entnehmen, als ein Erschrecken über die Willkür, mit der hier verfahren wurde. Die Identifikation mit dem Machthaber ist wirkungsvoller als die Lektion, die aus der Geschichte gelernt werden konnte. "Völlig unbürokratisch" erschien ihnen der Inspekteur, der "nationalpolitische Auslesezüge" innerhalb einer "Reichsschule SS" einrichtete, sie dann zur "Napola Achern" umdefinierte und nach dem Umzug in jene Haushaltungsschule in Hegne daraus eine "Deutsche Heimschule" mit Oberschulklassen für Mädchen aus bombardierten Städten werden ließ. Aus der Praxis der Maxime "Gelobt sei, was hart macht" habe die Interviewpartnerin "profitiert fürs spätere Leben": die Täuschungen aus jenen Jugendjahren blockieren noch immer eine realitätsgerechte Aufarbeitung. Weit weniger schillernd sieht ein ehemaliger Schüler der NPEA Ilfeld die Verhältnisse in Achern. Als sich die Ilfelder nach der Räumung ihrer Anstalt auch aus St.Wendel zurückziehen mußten, gelangten sie in die "NPEA Achern" und trafen außerdem auf ein "Mädchenschulheim", bevor sie im Dezember 1944 nach Ballenstedt weiterzogen. Demnach hat die "Deutsche Heimschule" in der Illenau bei Achern weiter existiert, auch als die "Auslesezüge" mit Frau Wever nach Hegne umgezogen waren (Kurt Rischmann in: Die NPEA Ilfeld, ein Beitrag zu Zeitgeschichte Band 2, 1998, S.437 f.) Einen verläßlichen
Überblick über die Ausbreitung des Schulverbandes in den letzten
Kriegsjahren hat der Regionalhistoriker Arnulf Moser gegeben, der
nicht Napola-Schüler war. Seine Darstellung Die Napola Reichenau.
Von der Heil- und Pflegeanstalt zur NS-Eliteerziehung 1941-1945
geht weit über diesen Gegenstand hinaus und sucht zudem zu Bewertungen
wie dieser zu gelangen: "Die Politisierung der Napola lag nicht im Fachunterricht,
sondern in der totalen Erfassung der Zöglinge rund um die Uhr"(S.46),
dennoch sei nicht von einem "destruktiven Menschenexperiment" zu sprechen,
denn "gelitten" habe in dieser Erziehungspraxis nur eine Minderheit (S.137).Hier
wird außerdem auf Literatur der neunziger Jahre Bezug genommen, die
vornehmlich die Napola in Württemberg zum Gegenstand hat.
Gegenüber dieser historischen
Arbeit fällt "Erlebnis-Dokumentation" des Regisseurs und Buchautors
Harald Schäfer: "Napola - die letzten vier Jahre der
Nationalpolitischen Erziehungsanstalt Oranienstein bei Diez an der Lahn
1941-45" in alte Schemata zurück.
Was die Lektüre dann doch noch lohnend erscheinen läßt, ist die wohl erstmalige Darstellung eines Lernprozesses nach dem Kriege, bei Ehemaligentreffen. Zu einer kritischen Distanzierung gegenüber dem vereinnahmenden, Gleichgestimmtheit voraussetzenden Bericht eines früheren Erziehers über ein Treffen kommt es schließlich 1960. Erst dann trat man aus der Tradition des "Heldengedenkens" heraus, sprach dem Tod im Krieg aber wiederum einen Sinn zu: "Sie trugen für uns, die wir ohne unser Verdienst davongekommen sind, die Schuld und das Gericht Gottes, das so vielem, was geschah, galt."(S.125). Als l996 eine Untersuchung von Schneider/Stillke/Leineweber nach dem Erbe der Napola fragte, sollte berücksichtigt werden, daß die Bearbeitung traumatisierender Erfahrungen, wie des hier aus Schülerperspektive banal geschilderten Zusammenbruchs, nicht nur einen wachen Geist, sondern auch Zeit beanspruchte. Erwähnte Literatur/ Filmdokumentation: Aumüller-Roske, Ursula:
Weibliche Elite für die Diktatur? In. Dies. ( HRG): Frauenleben- Frauenbilder-
Frauengeschichte. Pfaffenweiler 1988
Prof. Dr. Harald Scholtz, Berlin |
Erfassungsdatum: | 16. 06. 2000 |
Korrekturdatum: | 02. 04. 2004 |