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HBO Datenbank - Rezension

Rezensent(in): Dams, Anja
Rezensiertes Werk: Hering, Sabine: Makel, Mühsam, Priveleg? Eine hundertjährige Geschichte des Alleinerziehens. Mit zahlr. Abb. u. umfangreichem Dokumententeil. Unter Mitarb. von Astrid Otto u. Kurt Schilde. Frankfurt a. Main: dipa-Verl., 1998., 238 S.; Br., ISBN 3-7638-0370-9, DM 36, -
Erscheinungsjahr: 1999
zusätzl. Angaben zum Rezensenten:
Dams, Anja
Studienreferendarin
anja.dams@uni-duisburg.de
Text der Rezension:

 
Die Ein-Eltern-Familie gilt heute in unserer Gesellschaft als normale Lebensform. Allerdings wird sie nach wie vor überschattet vom Leitbild der bürgerlichen glücklichen Kleinfamilie, die angeblich für das Kind eine bessere Entwicklung und Erziehung gewährleistet.

Das Buch von Hering beleuchtet die Tradition der Ein-Eltern-Familie, die über eine lange Zeit hinweg als Bedrohung der christlichen Familie und somit von Moral und Sitte angesehen wurde. Hering legt ihr Hauptaugenmerk auf das Schicksal unverheirateter Mütter und deren Kinder. Das Problem verwitweter oder geschiedener Mütter wird, ebenso wie das Problem der alleinerziehenden Väter, das bis in die 50er Jahre dieses Jahrhunderts nicht existent war, nur kurz dargestellt. Es wird vor allem die Frage nach der Herkunft und Situation der unverheirateten Mütter gestellt und danach, wie ihr Schicksal und das ihrer Kinder von der Gesellschaft bestimmt wird. Hierzu wird auch die jeweilige in den einzelnen Epochen gültige Rechtslage und deren Handhabung genau dargestellt.

Das Buch ist nach historischen Zeitabschnitten gegliedert. Es setzt in den letzten Jahrzehnten vor der Reichsgründung 1871 ein. Danach werden die Abschnitte Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Nachkriegszeit und Restauration, Reformphase sowie die Gegenwart und Perspektiven dargestellt. Dem eigentlichen Textteil folgt ein umfangreicher Anhang mit interessanten historischen Quellen, die die Thematik vertiefen.

Hering zeigt, wie die Ein-Eltern-Familie im Vergleich zur „normalen“ Familie stets rechtlich, sozial und ökonomisch benachteiligt wurde, um so dem vermeintlichen Verfall der Gesellschaft vorzubeugen. Sie zeigt einen mehr als hundertjährigen Kampf der Gleichberechtigung, der sowohl mit dem Sozialismus als auch der Frauenbewegung verknüpft ist. Allerdings wird deutlich, daß die meisten Fortschritte für nichtverheiratete Mütter nicht durch den Kampf dieser Organisationen, sondern durch die beiden Weltkriege erzielt wurden. Sie kann überzeugend darstellen, daß ein wirklicher Wandel erst nach dem 2. Weltkrieg einsetzte und daß die Ein-Eltern-Familie vom Standpunkt der Sozialisation und Erziehung her zwar anders ist als die „normale“ Familie, aber keinesfalls als minderwertiger oder gesellschaftsgefährdend angesehen werden muß.

Verknüpft mit der Frage der unverheirateten Mütter ist auch das bislang aktuelle und stets brisante Thema „§ 218“. Hering schreckt vor der Behandlung dieses Themas keineswegs zurück, sondern stellt auch den historischen Wandel in der Diskussion um den § 218 dar und dessen Einfluß auf die Situation der nichtverheirateten Mütter. Das das Thema „§ 218“ im Rahmen dieser Arbeit natürlich nicht erschöpfend, sondern nur in einem für die betrachtete Problematik notwendigen Rahmen behandelt werden kann, versteht sich von selbst.

Hering legt mit diesem Buch eine erweiterte und verbesserte Fassung einer bereits 10 Jahre alten Arbeit vor, die in Zusammenarbeit mit dem Institut für soziale Arbeit (ISA) entstanden ist. Sie ergänzt ihre Arbeit hier um eine Fülle an Archivmaterial. Hering gelingt es vor allem durch die Einbindung zahlreicher authentischer Zeugnisse, sowohl in Wort als auch in Bild (politische Plakate, Zeitungsausschnitte, Kunstbilder), ein detalliertes Porträt eines zentralen Aspekts unserer Kulturgeschichte zu schaffen.

Erfassungsdatum: 08. 03. 1999
Korrekturdatum: 02. 04. 2004