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HBO Datenbank - Rezension

Rezensent(in): Apel, Hans Jürgen
Rezensiertes Werk: Täschner, Stefan: Schule in Bayern im Spannungsverhältnis von Staat, Eltern und Kirche: eine verfassungsgeschichtliche Untersuchung von der Aufklärung bis zur Bayerischen Verfassung vom 2. Dezember 1946. Frankfurt/Berlin: Lang, 1997. (Europäische Hochschulschriften, Bd. 2062), 229 S., ISBN 3-61-30841-8
Erscheinungsjahr: 1999
Text der Rezension:    

 


Täschner, Stefan : Schule in Bayern im Spannungsverhältnis von Staat, Eltern und Kirche. Eine verfassungsgeschichtliche Untersuchung von der Aufklärung bis zur Bayerischen Verfassung vom 2. Dezember 1946. 
Frankfurt/Berlin: Lang 1997 
(Europäische Hochschulschriften, Bd. 2062) 
Br., 229 S., ISBN 3-631-30841-8, DM 69,- 
 

Rezensiert fuer HBO von 
Prof. Dr. Hans Jürgen Apel (hans-juergen.apel@uni-bayreuth.de) 
Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Schulpädagogik 
 

Die Schule und ihre Entwicklung aus verfassungsgeschichtlicher Sicht zu betrachten, ist eine wichtige Ergänzung zur bildungsgeschichtlichen Forschung. Im Mittelpunkt dieser Betrachtungsweise stehen Vorgänge, durch die rechtliche Rahmenbedingungen für die verbindliche Organisation des Schulwesens vorgegeben wurden. Täschner sieht für den von ihm gewählten Zeitraum bayerischer Schulgeschichte drei wichtige Ereignisse: (1) die Montgelas´schen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, durch die Bayern zu einem modernen Verwaltungsstaat wurde, (2) die Weimarer Reichsverfassungsentscheidung (1920), durch die schulrechtliche Rahmenbedingungen vorgegeben wurden, und (3) die rechtliche Neuordnung 1946 nach der totalen Kriegsniederlage Deutschlands durch eine demokratische Landesverfassung. Diese Sichtweise ist zutreffend. Der Verfasser kennzeichnet damit wesentliche Schwerpunkte der Entwicklung. Ob er allerdings damit sein eingangs formuliertes Ziel erreicht, "zu untersuchen, wie sich im historischen Ablauf die staaliche Festlegung von Erziehungszielen gestaltete" (S. 17), ist nicht so eindeutig zu beantworten. Aus bildungsgeschichtlicher Perspektive sehen die Dinge anders aus, zumal die erörterten Rahmenbedingungen nicht mehr als weit gefasste Vorgaben sind, innerhalb derer dann Ziele zu formulieren und auch durch Unterricht zu realisieren sind. 

In der gegenwärtigen Diskussion um Aufgaben und Fragestellungen, die die angeblich engen Grenzen der Fächer übersteigen, ist diese Arbeit ein wichtiger Beitrag. Wer Schule historisch und verfassungsgeschichtlich betrachtet, steht vor der schwierigen Aufgabe, die Ansprüche dreier Wissensbereiche aufeinander zu beziehen: die der Verfassungslehre, der Historie und der Schul- oder Bildungsgeschichte. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Auch die Arbeit von Täschner kann in diesem Punkt nur partiell überzeugen. Was die verfassungsgeschichtlichen Recherchen betrifft, so deuten die Quellenzitate und die angeführte Literatur auf eine gründliche Erarbeitung der Vorgänge. Auch die Wahl der genannten drei Schwerpunkte verfassungsrechtlicher Entscheidungen ist ohne Zweifel sinnvoll. Unklar bleibt aber, welche Vorstellungen der Verfasser eigentlich von Geschichte hier als Verfassuungs- und Bildungsgeschichte hat. Gehört zu einer Verfassungsgeschichte nur, was sich in festen Verfassungen niederschlägt oder muss dabei auch berücksichtigt werden, was propagiert und letztlich nicht durchgesetzt wurde (so z.B. 1848 und 1867, vom Verfasser unpassend bei der Diskussion der Weimarer Entschlüsse kurz angesprochen). Ebenso ist die Betrachtung der Schulentwicklung in der NS-Zeit völlig unzulänglich. In Beiträgen zur Bildungsgeschichte ist eindeutig nachgewiesen, dass hier die entscheidenden Veränderungen der Schulpolitik und der offiziellen Erziehungsziele durch Verordnungen erfolgte. Eine so gravierende verfassungsrechtliche Maßnahme wie bei den anderen genannten Zeitpunkten liegt zwar nicht vor, von schwerwiegenden Eingriffen in den Schulalltag durch Erlasse ist aber zu sprechen. Wirkte sich etwa während dieser Zeit noch die Weimarer Verfassung auf die Schulwirklichkeit aus oder war nicht längst faktisch eine andere Rechtssituation im NS-Staat geschaffen worden? Derartige Fragen müssten angesprochen werden. Rezensent führt diese Unzulänglichkeit in der Darstellung auf eine zu knappe Rezeption von Schulgeschichte zurück. 

Die fehlende Beachtung neuerer schulgeschichtlicher Untersuchungen ist auch daran erkennbar, dass aus Verordnungen zur Schulgestaltung auf die Schulwirklichkeit geschlossen wird. Wer etwa die wichtigen Verordnungen der Montgelas´schen Reform von 1802 und 1803 zum Anlass nimmt, nun festzustellen, "Damit war in Bayern die sechsjährige staatliche Pflichtschule eingeführt, an der bis 1856 festgehalten wurde" (S. 41), der setzt Verordnungen und Schulwirklichkeit gleich. Dass das aber nicht gilt, ist unbestrittene Ansicht der historischen Bildungsforscher und durch ältere wie neuere Arbeiten belegt. 

Man kann also festhalten: Täschners Untersuchung ist zwar ein wichtiger Beitrag zu einer speziellen Perspektive der Schulentwicklung und stellt sicher eine Ergänzung der üblichen bildungshistorischen Forschungen dar. Sie kann für regionale Schuluntersuchungen als grundlegendes Nachschlagewerk genutzt werden. Aber man darf nicht übersehen, dass nur Stationen der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung herausgearbeitet wurden. Die Prozesse dazwischen wie etwa für Bayern 1848 und 1867, dann die massiven Eingriffe der NS-Diktatur, werden nicht erkennbar, schon gar nicht in ihrer Bedeutung einbezogen. Das aber ist unverzichtbar, wenn man feststellt, "dass die staatliche Festlegung von Erziehungszielen nur im historischen Ablauf zu verstehen ist" (S. 17). 
 
 

Erfassungsdatum: 26. 02. 1999
Korrekturdatum: 02. 04. 2004