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HBO Datenbank - Rezension

Rezensent(in): Lange, Hermann
Rezensiertes Werk: Freyer, Michael: Das Schulhaus: Entwicklungsetappen im Rahmen der Geschichte des Bauern- und Bürgerhauses sowie der Schulhygiene. Hrsg. von Gundolf Keil u. Winfried Nerdinger. Passau: Wissenschaftsverlag Richard Rothe 1998
Erscheinungsjahr: 1999
Text der Rezension:

Rezensiert fuer HBO von
Prof. Dr. Hermann Lange
Universität Hamburg
 

Aspekte einer bayerischen Schulbaugeschichte,
die diese in “kulturellen Verlaufsformen“ darbieten will und in schlechte Statistik umschlägt.

Das hier zu besprechende Werk hat, um den Titel zu präzisieren, das bayerische Schulhaus zum Gegenstand, und zwar bis zum Jahre 1870. Es sollen “bisher weitgehend ungenutzte Materialien über Schulhäuser“ “ans Licht gebracht werden“ (S. 15). Dafür wurden die Bestände von 71 Archiven und über 300 schul- und regionalgeschichtliche Veröffentlichungen, dazu mehr als 160 schulhygienische und schulmedizinische Titel herangezogen. Doch geht es Freyer um mehr, nämlich um eine “Schulbaugeschichte auf bayerischen Boden“, wie die Überschrift des zweiten Kapitels lautet, das mit 198 Seiten Umfang die Arbeit trägt; und der Autor nimmt für sich in Anspruch, eine “Pionierstudie“ (S.15) vorgelegt zu haben.

Um das Ergebnis genaueren Lesens und gründlichen Studiums der Abbildungen und Diagramme vorwegzunehmen:

  • es wird viel interessantes Material zugänglich gemacht, aber eine Schulbaugeschichte für Bayern ist daraus nicht entstanden;
  • die allgemeine Schulbauforschung wird nicht weitergeführt;
  • die These von den vier “Etappen“ der Schulbauentwicklung läßt sich nicht halten und
  • selbst die Dokumentationsabsicht hätte sich lesbar strukturieren lassen.

Das sind gravierende Einwände, die sorgfältig begründet sein wollen, und zwar so, daß dabei auch Aufbau und Inhalt des Buches und das Forschungsverständnis seines Autors mitbedacht werden. Nähern wir uns dem ansprechend aufgemachten und aufwendig ausgestalteten Buch von außen - wie sein Autor dem Schulhaus.

Die eigentliche wissenschaftliche Arbeit umfaßt 334 Seiten im Format 17 x 24 cm. Davon machen 218 Seiten den Hauptteil aus, dem ein mehr als hundertseitiger Apparat folgt. Von ihm sind außer Archivalien-, Literatur- und Abbildungsverzeichnis drei weitere Teile zu erwähnen:

  • 22 eng bedruckte Seiten mit Anmerkungen, weil sie die herangezogenen Schulbaunachrichten quellenmäßig belegen und damit Rückfragen an Freyers statistisches Vorgehen zulassen;
  • eine “Bibliographie zur Entwicklung der Schulhygiene ab 1900“, weil sie den auf Sammeln ausgerichteten Charakter der Veröffentlichung an einem auffälligen Beispiel bestätigt; und
  • ein ausführliches Orts- und ein knappes Sachregister, weil sie vergleichende Rückfragen des Lesers unterstützen, zugleich aber auch das Übergewicht des Topographischen herausstellen.

Der Hauptteil des Buches umfaßt vier Kapitel: eine Einleitung (4 Seiten), das genannte Zentralkapitel und zwei Kapitel von zusammen 16 Seiten, die unter schulhygienischen und schulbaugeschichtlichen Gesichtspunkten die Ergebnisse der Dokumentation zusammenfassen. Die 198 Seiten des Hauptkapitels schlüsseln sich folgendermaßen auf:

  • 22 fortlaufender Text,
  • 14 Fußnoten für Belege und Verweise,
  • 64 Abbildungen mit Beischriften.

Im Zentrum stehen also die Abbildungen, die zwei Drittel des Dokumentationskapitels in Anspruch nehmen, das Dreifache des fortlaufenden Textes. Will man sich einen Überblick über das Konzept des Buches verschaffen, ist es also nötig, einen Blick auf die thematische und zeitliche Verteilung der Abbildungen zu werfen.

Unter den 224 in Abbildungen präsentierten Schulbaubeispielen machen Deutsche Schulen den entschiedenen Schwerpunkt aus: 169 Beispiele gegenüber 42 für Lateinschulen und Gymnasien. Der kleine Rest hat Dom-, Stifts- und Klosterschulen zum Gegenstand. Zeitlich sind die Beispiele in folgendem Verhältnis auf die Jahrhunderte verteilt:
  Mittelalter 16. Jahrh.  17. Jahrh.  18. Jahrh.  19. Jahrh.  5 15 27 42 135

Daraus ergibt sich ein entschiedenes Übergewicht für die sieben Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts.

In den Beischriften zu den Abbildungen wird der Gegenstand benannt, mit einer Jahreszahl versehen (z.B. “Abb. 76. Schulhaus von Stadelhofen. Neubauplan von 1826 ...“) und der Fundort in Archiv oder Buchquelle hinzugefügt. Gelegentlich sind Zusatzangaben zu finden. Bei Grundrissen erfolgt in der Mehrzahl der Fälle eine Kennzeichnung des Raumprogramms durch eingefügte Buchstaben gemäß einer pauschalen Legende im Anhang. Konsequent durchgehalten ist solche Erschließung der Grundrisse allerdings nicht. Dies scheint damit zusammenzuhängen, daß der Aufschluß des Raumprogramms oder gar der Einrichtung der Schulstuben/Unterrichtsräume nicht im Mittelpunkt der Dokumentationsabsicht des Vf. steht. Auch der fortlaufende Text erschließt die Details der einzelnen Bauwerke, wenn überhaupt, dann im allgemeinen nur pauschal und von außen. Man hat den Eindruck, daß der Vf. das ausgebreitete Bildmaterial für sich sprechen lassen möchte. Die Baupläne sind aber nicht als tragende Informationsquelle einbezogen, sondern sollen eher illustrieren. Gelegenheiten der unmittelbaren Gegenüberstellung von älteren und von funktional eingerichteten Schulhäusern werden nicht genutzt, und ungewöhnlichen Phänomenen in manchen Baurissen, die förmlich nach Erklärung und Hinweis schreien, wird nicht nachgegegangen.

Freyer hat, man muß es noch einmal hervorheben, einen beachtlichen Forschungsaufwand betrieben, und diese Investition verdient eine gründliche Auseinandersetzung, die Art der Präsentation ihrer Ergebnisse verlangt sie aber auch. Dabei geht es dem Rezensenten einmal um Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens, zweitens um das Verhältnis von Geschichte und Statistik und inhaltlich um den Gewinn für eine Geschichte des Schulwesens , die Schulhauspläne heranzieht. Der Hintergrund dieses Interesses an Freyers Funden und ihrer Präsentation ist eine eigene Studie, die sich um die Herausarbeitung der Eigenstruktur des frühneuzeitlichen Schulwesens bemüht und dafür Schulbaupläne und Schulhausrisse als aussagekräftige empirische Quellen nutzt: “Schulbau und Schulverfassung der frühen Neuzeit“ (1976). Sie blieb nach R. Schmidts “Volksschule und Volksschulbau von den Anfängen des niederen Schulwesens bis in die Gegenwart“ (Mainz 1961) viele Jahre die einzige deutsche Untersuchung zu diesem Gegenstand. Erst H. D. Michael Göhlichs Untersuchung “Die pädagogische Umgebung. Eine Geschichte des Schulraumes seit dem Mittelalter“ (Weinheim 1993) ist wieder zu nennen. Die Arbeit knüpft an Ergebnisse meiner Studie an und verarbeitet sie kritisch, doch ist sie eher als Vorgeschichte der Offenen Schule zu lesen. So nimmt Freyers Studie den Gegenstand zum ersten Mal im deutschen Forschungsbereich wieder auf. Für England ist auf das großartige Werk von Malcolm Seaborne hinzuweisen: “The English School. Its Architecture and Organization. 1370 - 1870“ (London 1971). Erstaunlich ist allerdings, daß weder Seaborne noch Göhlich von Freyer herangezogen worden sind und daß Schmidts und meine Untersuchung als überregional ansetzend und deshalb als “nicht differenziert genug“ (S. 20) beiseite gelassen werden.

Dies hängt offensichtlich mit Freyers Eingrenzung seiner Arbeit auf Bayern, geschichtlich genauer: auf das Gebiet, das seit 1815/17 Bayern ausmacht, und mit seiner Vorstellung von “differenziert“ zusammen. Zu beachten ist auch, daß im Titel jede pädagogische Konnotation vermieden wird. Charakterisch für den Text ist überhaupt die Nichtbeachtung jeder sozialhistorischen Perspektive. Diese Ausgrenzung bezieht auch das ein, was bei Seaborne “School Organization“ heißt. Daß das Haus in der frühen Neuzeit eine politisch-soziale Kategorie war, wird nicht beachtet.

Das hängt mit einem eigenartig gesellschaftslosen Geschichtsverständnis zusammen. Zwar ist auch Freyers forschungsleitende Absicht der Nachweis “der Herausdifferenzierung der Schule zum funktional differenzierten Haus“ (15), der nur noch Unterrichtsräume vorhält (Stichwort: Schulkaserne). Dieser Nachweis soll aber nicht in einem pädagogisch-sozialgeschichtlichen Kontext geführt werden, sondern anhand der Dokumentation zweier “kulturgeschichtlicher Verlaufsformen“, einer hausgeschichtlichen und einer mitbeachteten schulhygienischen. An der äußeren Form des Schulhauses und ihrer Nähe oder Distanz zum Bauern- und Bürgerhaus soll dann die Schulbaugeschichte abgelesen werden.

Der Text des zentralen zweihundertseitigen 2. Kapitels zeigt nun, wie sich dem Autor die kulturgeschichtliche Absicht mit einer statistischen vermengt. Allerdings wird einem erst beim Lesen der beiden zusammenfassenden Schlußkapitel so recht klar, warum Freyer das falsche Wort gewählt hat, wenn er die überregionale Schulbauforschung als “nicht differenziert genug“ kennzeichnet. Es geht ihm gar nicht um Differenziertheit in einem inhaltlichen Sinne, also nicht um eine exemplarische Durchdringung der Baustruktur von Schulhäusern im Hinblick auf ihre Aufgabe. Es geht ihm vielmehr um Schulbaudichte in einem statistischen Sinne. Keineswegs soll an ausgewählten Beispielen gezeigt werden, was Mehrfunktionalität ausmacht und wie sie sich in Richtung funktionaler Ausdifferenzierung wandelt. Das herauszufinden, wird im Grunde dem Betrachter der Abbildungen überlassen, dem gelegentliche Bemerkungen und Einschübe im fortlaufenden Text auf die Sprünge helfen sollen.

Denn dieser Text ist nicht kultur- bzw. baugeschichtlich strukturiert, sondern in sieben Unterabschnitte gegliedert, die den heutigen Regierungsbezirken Bayerns entsprechen. Jedes dieser Unterkapitel wird mit einer Übersicht über die regionale “Hausentwicklung“ eröffnet. Sie präsentiert in Text und Bild (insgesamt 45 Abb.) die vormoderne Situation des Bauern- und Bürgerhauses, und zwar mit Begrenzung auf die Außenform: ein oder zwei Stockwerke (“Gaden“), Fachwerk oder Massivbau, Satteldach oder Schopfwalm usw.; und mit Begrenzung auf das Gebiet des heutigen Bayern. Nicht einmal bei der zweimaligen Erwähnung des ungewöhnlichen Umgebindehauses (82, 108) wird mit Außerbayern, hier also der Oberlausitz verglichen.

Sodann werden Bezirk um Bezirk die schulbaugeschichtlichen Funde in der eingangs vorgestellten Form von Text / Fußnoten / Abbildungen präsentiert, und zwar in einer Untergliederung nach Schularten. Sucht man das dabei befolgte Verfahren auf den Punkt zu bringen, kommt wiederum aus den letzten Kapiteln die Einsicht, daß Freyer im Grunde Schulbau fälle, illustriert durch Abbildungen, vorträgt, die sich seit dem ausgehenden 18. Jh. verdichten. Etwas zugespitzt formuliert läuft das ganze 2. Kapitel auf eine Vorbereitung der These hinaus, die endlich am Anfang des 3. Kapitels nachzulesen ist (vgl. S. 219), der schlichten These, daß schlechte (und erst recht fehlende) Schulhäuser ein “Haupthindernis“ der Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht waren, weswegen für den Bau von Schulhäusern das Umgekehrte gilt: Durchsetzung der Schulpflicht hängt an der Durchsetzung des Schulhauses. Nun wird auch das Übergewicht der Deutschen Schulen und die Präponderanz des 19. Jh. verständlich.

Natürlich ist es so, daß bei der Fülle der Abbildungen und der herangezogenen Quellen für den genauen Leser nicht wenig interessantes Material zum Schulbau abfällt. Was er dabei interessant findet, hängt jedoch von seiner Interessenlage und seinen Vorkenntnissen ab. Und so zeigt sich bald, daß die Art der sieben Mal wiederholten und dann noch auf Schularten verteilten Darbietung der Materialien nicht nur den Leser ermüdet, sondern auch den Vf. an einem mitlaufenden innerbayerischen Vergleich im Sinne seiner kulturgeschichtlichen Fragestellung(en) hindert.

Daß im 2. Kapitel nicht ein kulturgeschichtlicher Leitfaden Gliederung und Darstellung bestimmt, scheint damit zusammenzuhängen, daß Freyer ganz und gar ungeschichtlich denkt. Dementsprechend verteilt er seine Funde auf sein Bezirke/Schularten-Raster und trägt sie in den jeweiligen Feldern chronologisch vor. Einen Schulbaufall nach dem anderen, so im Text, so in den Abbildungen. Historisch verfährt er völlig unkritisch, und zwar so ungebrochen, daß er die Terminologie seiner lokalhistorischen Quellen 1:1 übernimmt. Die Schul(haus)bezeichnung Lyzeum z.B. wird einfach übernommen, aber es wird nicht erläutert, daß es sich hierbei nicht um die Mädchenoberschule des 19. und 20. Jh., sondern um die philosophischen Studien des Jesuitenordens oberhalb seiner fünfklassigen Gymnasien handelt. Noch eigenartiger berührt, wie die Schulhäuser der Englischen Fräulein rubriziert werden, nämlich unter “Privatschulen“. Sie stehen damit neben den obskuren Winkelschulen. Nur einmal sind sie - wenigstens halbwegs angemessen - in die Sparte der (jüngeren) “Klosterschulen“ geraten. In diesem Falle trägt dem Vf. seine Quelle zu, daß die Kongregation Unserer Lieben Frau 1711 in Eichstätt eine Mädchenschule errichtete und später ein neues Kloster baute (vgl. S. 174). Allerdings bemerkt Freyer nicht, daß diese Kongregation mit dem Schulorden identisch ist, der gemeinhin “Englische Fräulein“ genannt wird.

Dies Beispiel weist darauf hin, daß nicht nur das regionale Gliederungsprinzip der Arbeit problematisch ist, sondern selbst Freyers Handhabung eines durchaus angemessenen Einteilungsprinzips, nämlich des Prinzips der Einteilung nach Schularten. Denn er beachtet nicht, daß es sich bei Schularten in einer geschichtlichen Arbeit um ein Gliederungsprinzip handelt, das geschichtlich angemessen eingesetzt werden muß, wenn angemessene Ergebnisse herauskommen sollen. Er klebt einerseits zu sehr an den zufälligen Bezeichnungen seiner Quellen (wenn es um die spät- und nachmittelalterlichen Schularten kirchlicher Provenienz geht) und folgt andererseits nicht der ständischen Ordnung, die das Schulwesen der frühen Neuzeit (und damit auch dessen Schulhäuser) bestimmte. Das zeigt sich an zwei Punkten, die die Ergebnisse der Freyerschen Arbeit entscheidend beeinflussen. Einmal ist es geschichtlich inadäquat, Lateinschulen und Gymnasien erst nach den Deutschen Schulen abzuhandeln. Naheliegende Vorbilder und mögliche Promotoren einer kulturgeschichtlichen Entwicklungsreihe im Schulbau, die (auch als Fortsetzung der mittelalterlichen Schulen) in die Mitte gehört hätten, rücken dadurch unangemessen ans vernachlässigte Ende. Inhaltlich nimmt Freyer sich damit die Möglichkeit, jene Beispiele aufzuspüren, in denen das Mehrklassenschulgebäude aufkommt. Selbst die beiden einzigen Grundrisse aus dem gymnasialen Bereich, die er bringt, zwei jesuitische Gymnasien, werden in dieser Hinsicht nicht ausgewertet. Es wird schlicht darauf hingewiesen, daß sich Jesuitengymnasien durch ihre schiere Größe vom bürgerlichen Haus abhoben.

Zum anderen entspricht es nicht den sozialgeschichtlichen Verhältnissen im Deutschen Schulwesen, das städtische und das ländliche Schulwesen ungetrennt zu präsentieren. Auch das Bürgerhaus war ja etwas anderes als das Bauernhaus (und insofern hätte selbst Freyers “hausgeschichtlicher“ Gesichtspunkt eine solche Gliederung gefordert).

Es wurde schon angesprochen, daß sich Freyers methodologische Vorstellungen in deutlicher Form erst im letzten Kapitel aufspüren lassen. In ihm sucht der Vf. so etwas wie ein “schulhausgeschichtliches“ Fazit zu ziehen. Es trägt die Überschrift “Zur Durchsetzung des Schulhauses“. Schon diese Formulierung verrät, daß Freyer der kulturgeschichtliche (also ein qualitativer) Gesichtspunkt nun vollends in eine quantitativ-statistische Instrumentierung einmündet. Wir kommen deshalb nicht darum herum, ihm bei seinem statistischem Vorgehen, aus dem dann eine “kulturelle Verlaufsform“ (S. 15) für das Schulhaus erwachsen soll, auf die Finger zu sehen. Dabei wird sich als erstes zeigen, daß Freyers gesellschafts- und geschichtsloses Vorgehen ihn selbst an der Vorlage einer soliden historischen Statistik hindert.

Die beiden tragenden Grundlagen für die 68 Textzeilen des Schlußkapitels sind

  • eine Karte “Verteilung von Schulhäusern auf oberfränkischem Boden um 1800, nach Daten bei J. B. Roppelt 1801 ...“ (Abb. 289, Buchtitel leider nicht im Literaturverzeichnis) und
  • ein Diagramm, das mit “Neue Schulhäuser und Umbauten auf mittelfränkischem Boden zwischen 1420 und 1870“ unterschrieben ist (Abb. 290; Abb. 291 = Ausschnitt für 1640 - 1870).

Es geht Freyer also am Ende doch nur um die Erfassung der in einem “langwierigen Prozeß“ entstandenen “relativen Schulhausdichte“. Dieser Prozeß sei “zunächst regional unterschiedlich“ verlaufen, konvergiere jedoch gegen Ende des 18.Jh. (vgl. S. 231). Der Text legt nahe, daß man die oberfränkische Verteilungskarte und das mittelfränkische Diagramm seit jener Zeit als repräsentativ für alle bayerischen Bezirke nehmen könne. Zweifel an den Grundlagen seiner statistischen Bemühungen kommen aber auf, wenn man die weißen Flecke in der Schulhaus-Verbreitungskarte für “Oberfranken um 1800“ sieht und nach der historischen Herkunft dieser Lücken und ihren Konsequenzen in einem statistischem Kontext fragt. Ein vergleichender Blick in den Bayerischen Geschichtsatlas zeigt nämlich, daß Freyer offenbar die Daten des Statistikers von 1801, die nur das Hochstift Bamberg betreffen können, in eine Umrißkarte des heutigen Regierungsbezirks Oberfranken einträgt. Verständlich, daß das damals noch preußische Bayreuth und erst recht der noch lange thüringisch bleibende Landeskreis Coburg weiße Flecken bleiben.

Auch das Diagramm für Mittelfranken, das für Freyers Ergebniszusammenfassung eine Schlüsselrolle hat, bedarf schon in seinen statistischen Grundlagen der genaueren Betrachtung. Dieser neubayerische, vornehmlich protestantisch geprägte Bezirk ist das Gebiet, dessen Schulbaufälle in der Arbeit am intensivsten erfaßt sind. Das zeigen schon die Anmerkungen, die die berücksichtigten Fälle quellenmäßig belegen (1240 Zeilen für Mittelfranken gegenüber 127 für Niederbayern und gar nur 38 für Oberfranken). Solcher Befund stellt zumindest die Übertragbarkeit auf Gesamtbayern in Frage. Offen bleiben muß aber auch, inwieweit die erfaßten Schulbaufälle für die faktische Schulhausdichte in Mittelfranken repräsentativ sind. Jedenfalls werden Lateinschulen und Gymnasien nur für das 17. und 18. Jh. einbezogen, und es bleibt undiskutiert, daß die geringere Zahl an Funden für die älteren Jahrhunderte sicher auch mit größeren Verlusten in den längeren Zeitläufen (und sicher noch einigen weiteren Gründen) zusammenhängt.

Das sind gewichtige Rückfragen auf der Ebene historischer Statistik. Aber die entscheidenden wissenschaftlichen Einwände richten sich auf einen anderen Punkt. Es geht um die Art, wie Freyer den empirischen Beleg seiner kulturgeschichtlichen These, den er aus den Schulbauplänen hätte erbringen müssen, an eine rein statistische Buchführung abtritt, wie er also Statistik in “Geschichte“ umwandelt. Es geschieht in dem mittelfränkischen Diagramm und seiner bemerkenswerten Interpretation. Im Diagramm werden Baufälle für Schulhäuser jahrzehnteweise auf die Zeit von 1460 bis 1870 verteilt: “Balkendiagramm = Neubauten; Linie = Umbauten“ (S. 232). Das leuchtet statistisch ein, wenn es um die zeitverteilte Erfassung der Schulbautätigkeit geht (obwohl für die faktische Schulhausdichte natürlich die Lebensdauer der Bauten miteinbezogen werden müßte).

Bemerkenswert ist nun Freyers Interpretation, daß sich aus dem Diagramm ablesen lasse, wie sich das Schulhaus “in seiner Struktur und in seinem Äußeren“ von anderen Gebäuden seiner Umgebung abhebt, indem die zunächst vielfältigen Funktionen auf eine einzige verengt werden, und zwar auf die Unterbringung von Lehrzimmern (S. 231f.). Zunächst legt der engere Kontext nahe, Freyer beziehe diese Feststellung auf das 19. Jh.; doch dann weitet er sie auf alle von ihm erfaßten Jahrhunderte aus: “Die Jesuitengymnasien waren deutliche Vorläufer dieses allgemeinen Prozesses der Schulbaugeschichte“ (S. 232). Und so entdeckt er im Blick auf das Diagramm vier Intervalle dieses “allgemeinen Prozesses“ der “Durchsetzung des neuen Gebäudetyps“ (S. 232):

  • eine “Experimentierphase“ (S. 232) ab 1460,
  • eine “Versuchsphase“ (S. 234) zwischen 1560 und 1630,
  • eine zweiteilige “Durchsetzungsphase“ (S. 234) von 1640 bis 1770 und
  • eine “Ausbauphase“ (S. 231, 234), die 1830/40 einsetzt.

Das Eigenartige der Logik, mit deren Hilfe diese Einteilung in Phasen oder “Etappen“ (vgl. den Buchtitel) gewonnen wird, ist die Identifizierung von “Durchsetzung des Schulhauses“ - also des Ausbaus der Schulhausdichte - mit “Durchsetzung des neuen Gebäudetyps“. Schließlich ist doch auch das mehrfunktionale Schulhaus der frühen Neuzeit ein dezidiertes Schulhaus: dafür bestimmt, darin Schule zu halten. Nicht zuletzt Freyers Abbildungen belegen, daß dieser Schulhaustyp selbst im 19. Jh. noch vielfach aufgelegt wurde, und er selbst weist darauf hin, daß sich der “Spezifizierungsprozeß .... in kleineren Landgemeinden zumindest bis gegen 1960“ hinzog (S. 232). Bei einem großen Teil der Schulbaufälle, die in die Diagrammbalken für das 19. Jh. eingegangen sind, handelt es sich also noch um den älteren Schulhaustyp, den ich “Haus des Schulmeisters“ genannt habe. Der Gebäudetyp “Schulkaserne“ beginnt sich erst ab 1830/40 durchzusetzen, und zwar in dem wachsenden Städten, und in denen änderte sich ja auch das Bürgerhaus zur “Mietskaserne“.

Hier zeigt sich, daß der Vf. mit seinem Indikator Nähe zum bzw. Loslösung vom Bürgerhaus einen Maßstab gewählt hat, der nicht einmal für seine kulturgeschichtlichen Zwecke greift (und ja auch nicht ins Diagramm eingegangen ist). Wäre letzteres sein Ziel gewesen, hätte er das Diagramm in dieser Hinsicht differenzieren und nachweisen müssen, wieviel der erfaßten Neu- und Umbauten vom älteren, wieviel vom funktionalen Typ waren. Bürger- und Bauernhausnähe oder -distanz sind für eine solche qualitative Differenzierung aber nicht tauglich, wie der Hinweis auf die Mietskasernen im Zeitalter der Schulkasernen gezeigt hat.

Nicht die Richtigkeit der qualitativen Aussage Freyers zum Wandel des Mehrzweckschulhauses in das einfunktionale Schulgebäude soll in Frage gestellt werden, aber sein Verfahren, das darauf hinausläuft,

  • die Durchsetzung des modernen Schulgebäudetyps über die Erfassung der Schulbauintensität nachzweisen zu wollen und
  • das Maß der Modernität an der Distanz zum Bürger- und Bauernhaus festzumachen (denn gemeint sein kann doch nur das Verhältnis zum zeitgenössischen bürgerlichen Bauwesen, nicht aber zur erhalten gebliebenen älteren Bausubstanz).

Beide in Freyers Vorgehen implizierten Annahmen fallen in sich zusammen, sobald man sie explizit macht.

Der Grund, warum Freyer sie dennoch zum tragenden Prinzip seiner Forschungen und der Präsentation ihrer Ergebnisse macht, wurde bereits ausgesprochen. Einerseits setzt er sich in methodologischer Hinsicht keinem Vergleich aus und andererseits strukturiert er nicht nach geschichtlich-evolutionären oder auch nur kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten, sondern ordnet Fälle nach geschichtslosen bzw. von internen Merkmalen absehenden Kategorien. So behandelt er das ältere Schulhaus nicht als etwas Eigenständiges, eben: Haus des Schulmeisters, sondern kennzeichnet es von heute her als “mehrfunktional“. Da aber das Haus für ihn kein sozialgeschichtlicher Begriff und nicht einmal eine kulturelle Ganzheit ist, geht er - sieht man einmal von der Kennzeichnung der meisten Grundrisse gemäß seiner pauschalen Legende ab - nicht zentral auf das Innere der Häuser ein, weder beim Bauern- noch beim Bürger- noch beim Schulhaus.

Wo er aber das Innere von Schulhäusern doch einmal behandelt, stehen Gesichtspunkte der Schulhygiene im Vordergrund. Der sogenannten schulhygienischen Verlaufsform widmet sich das 3. Kapitel (“Schulbaubestimmungen, Einrichtung der Lehrzimmer und Schulhygiene“: S. 219-230 mit zwei Diagrammen). Nach einer Erfassung des Spezifischen des frühneuzeitlichen Unterrichts sucht man vergeblich. Aber auch eine kulturgeschichtliche Entwicklungsreihe zur Schulhygiene wird nicht herausgearbeitet. Wo er im 4. Kapitel Schulbaufälle zählt, zählt er im 3. Kapitel Fälle von Veröffentlichungen zur Schulhygiene auf und verteilt sie in einem Blockdiagramm auf die Jahrzehnte, dieses Mal sogar von 1400 bis 1970. Es werden Titel auf die Zeitreihe verteilt, keine Buchinhalte erfaßt. Dabei liefern die Abbildungen auch in schulhygienischer Hinsicht und erst recht für das Schul- und Lehrstuben-Innere unter pädagogischen Gesichtspunkten manches relevante Beispiel.

Zusammenfassend muß man konstatieren: Freyer hat nicht realisiert, daß der “schulbauempirische“ Nachweis des allmählichen Umschlags von Ganzheitlichkeit (Mehrzweckhaftigkeit) in reine Unterrichtsfunktionalität nur gelingen kann, wenn man diese Situation im alteuropäischen Haus mit derjenigen in den modernen Funktionsgebäuden vergleicht. Dabei ergeben sich genaue Parallelen zwischen dem Schulhaus und anderen bürgerlichen Häusern. Wie aus dem Haus des Schulmeisters die Lehrzimmer ausgelagert werden, so aus dem Haus des Kaufmanns das Kontor bzw. der Laden usw.

Im pädagogischen Bereich sind Motiv und Indikator dieser baulichen Ausdifferenzierung der Übergang von der älteren, in sich gegliederten Schülerschaft eines Schulmeisters, der Schule hält (dem “Coetus“), zu den modernen, frontal ausgerichteten (“homogenen“) Jahrgangsklassen, die von Lehrern unterrichtet werden. Mögen die Jesuiten damit begonnen haben, hat diese Umstellung vom Coetus auf die Jahrgangsklassen, von dem einen Schulraum auf die Reihung von Klassenzimmern aufs Ganze des Schulwesens gesehen doch bis weit ins 19. Jh., für das Landschulwesen bis in die 60er Jahre unseres Jh. gedauert.

Es ist anzunehmen, daß diese in der überregionalen Schulhausforschung entfalteten und mit Plänen und Stichen belegten, aber auch an verbalen Quellen festgemachten Erkenntnisse auch für die Schulhausgeschichte auf bayerischen Boden Gültigkeit haben. Eine Nachprüfung dieser Vermutung (Korrektur und Widerlegung eingeschlossen) hätte den Wert des in der besprochenen Arbeit ans Licht gebrachten Materialfundus ungemein gesteigert. Aber auch die Lesbarkeit hätte um ein Beträchtliches gewonnen, wenn zwei Gesichtspunkte beachtet worden wären: (a) die bayerischen Bezirke nicht nacheinander, sondern vergleichend insgesamt zu behandeln und die Darstellung nach qualitativen Gesichtspunkten im sozial- oder zumindest kulturgeschichtlichen Sinne zu gliedern und (b) die Abbildungen unter exemplarischen Gesichtspunkten auszuwählen. Weniger Beispiele, diese aber von innen und außen präsentiert und von ihrer zeitgenössischen Funktion her erschlossen, wäre mehr gewesen. Die mitlaufende statistische Absicht, deren Wichtigkeit noch einmal ausdrücklich herausgestellt werden soll, muß dagegen anders bedient werden. Durch Abbildungen gerät sie eher auf Abwege. Jedenfalls läßt sich zunehmende Schulbauintensität nicht durch wachsende Abbildungsdichte wiedergeben, und ein Balkendiagramm kann ein Schulmeisterhaus nicht von einem modernen Schulgebäude unterscheiden.

Eine Schulhausgeschichte für Bayern bleibt also weiterhin ein Desiderat. Sie kann allerdings auf Freyers beachtlicher Dokumentationsleistung aufbauen. Der besondere Beitrag einer noch zu erbringenden bayerischen Schulhausgeschichte für die überregionale Schulhaus- und Schulgeschichtsforschung könnte in der Nachprüfung der skizzierten These (vom langen Fortbestand des alteuropäischen Schulhauses und Schulehaltens) für katholisch geprägte deutsche Gebiete liegen. Nicht zuletzt wäre dabei der Einfluß der Jesuiten auf frühneuzeitliche Schulen außerhalb des Ordens (die der Englischen Fräulein eingeschlossen) zu untersuchen und quellenmäßig nachzuweisen, also die Durchsetzung des modernen Klassen- und Unterrichtsprinzips in der Schulorganisation und im Schulhaus.
 
 

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Erfassungsdatum: 29. 01. 1999
Korrekturdatum: 08. 03. 2011