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HBO Datenbank - Rezension

Rezensent(in): Stübing, Heinz
Rezensiertes Werk: Schmitz, Klaus: Militärische Jugenderziehung. Preussische Kadettenhäuser und Nationalpolitische Erziehungsanstalten zwischen 1809 und 1939. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1997. (Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte, 67). Br., VIII, 343 S., ISBN 3-412-06297-9
Erscheinungsjahr: 1999
Text der Rezension: Klaus Schmitz, Militärische Jugenerziehung. Preußische Kadettenhäuser und Nationalpolitische Erziehungsanstalten zwischen 1809 und 1936, Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1997, VIII, 343 S. (= Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte, 67), DM
Schmitz, Klaus: Militärische Jugenderziehung. Preussische Kadettenhäuser und Nationalpolitische Erziehungsanstalten zwischen 1809 und 1936.
Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1997
(Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte, 67)
Br., VIII, 343 S., ISBN 3-412-06297-9, DM 58,-
 

Rezensiert für HBO von
Prof. Dr. Heinz Stübig
Philipps-Universität Marburg, Institut für Erziehungswissenschaft
 

Die an der Universität-Gesamthochschule-Siegen entstandene Dissertation befasst sich zum einen mit der Entwicklung der Kadettenanstalten im 19. Jahrhundert, wobei der Schwerpunkt der Untersuchung auf der wilhelminischen Zeit liegt, zum anderen wird die Weiterführung dieser "Pflanzschulen für Offiziere" als Staatliche Bildungsanstalten (Stabilas) in der Weimarer Republik und ihre spätere Umwandlung in Nationalpolitische Erziehungsanstalten (Napolas) verfolgt. Im Zentrum stehen dabei Fragen, wie durch die Organisation der Kadettenausbildung gewährleistet wurde, dass die Jugendlichen das militärische Werte- und Normensystem internalisierten, welche Bedeutung die Berufsperspektive im Hinblick auf das "willige" Ertragen von Schikanen hatte und inwieweit das abgestufte System von Privilegien dazu beitrug, die Akzeptanz der spezifischen Erziehungsziele sicherzustellen.

In der Einleitung referiert der Autor den Forschungsstand und hebt in diesem Zusammenhang J.-K. Zabels Arbeit "Das preussische Kadettenkorps" (Frankfurt/M. 1978) hervor, in der die ersten 150 Jahre dieser Institution detailliert aufgearbeitet werden. Daneben gibt er einen Abriss über die Quellenlage, aus dem auch hervorgeht, wie aufgrund intensiver Archivforschungen die Materialgrundlage für die Bearbeitung des Themas in vielen Fällen fundiert und erweitert werden konnte.

Die Studie ist so aufgebaut, dass zunächst die Reorganisation und die Expansion des Kadettenkorps zwischen 1807 und 1890 dargestellt werden, sodann die innere Ausgestaltung der Kadettenhäuser in wilhelminischer Zeit und daran anschliessend ihre Auflösung sowie die Neuanfänge zwischen 1918 und 1936. Während es im ersten Teil um die Analyse der organisatorisch-strukturellen Entwicklungen geht, die darin gipfelten, dass nach 1871 das preussische Modell der Kadettenausbildung im Deutschen Reich Vorbildfunktion erlangte - nur Bayern und Sachsen verfügten über eigene Kadettenanstalten -, stehen im zweiten Teil die formellen und informellen Herrschafts- und Sozialisationsmechanismen sowie deren Auswirkungen auf die Erziehung und Bildung der Kadetten im Vordergrund. Eingehend beschäftigt sich der Autor mit den Erziehungszielen und der Erziehungswirklichkeit in den Voranstalten und der Kadettenhauptanstalt in Berlin-Lichterfelde, einschliesslich des dort erteilten Unterrichts, der sich am Lehrplan des Realgymnasiums orientierte. Dabei kommt er zu folgendem Schluss: "Schulische Bildung galt nur dann etwas, wenn sie unmittelbar für die Ausübung des Offiziersberufs relevant schien" (S. 161 f.).

Im dritten Teil der Untersuchung wird das Schicksal der Kadettenhäuser über den Ersten Weltkrieg hinaus verfolgt und ihre Umwandlung in Stabilas bzw. ab 1933 in Napolas im einzelnen erörtert.
Die Gründe für die Weiterführung der im Vertrag von Versailles verbotenen Kadetteninstitute in veränderter Form resultierten daraus, dass man einerseits den verbliebenen Kadetten den Besuch einer regulären höheren Bildungsanstalt nicht zumuten, andererseits den Söhnen von Gefallenen oder schwerbeschädigten Kriegsteilnehmern, in besonderer Weise entgegenkommen wollte, ebenso wie den Söhnen von Deutschen aus dem Ausland, aus den abgetretenen Gebieten und schliesslich auch Söhnen aus sozial schwachen Familien.
Dieses Prinzip einer eindeutig politisch motivierten Auswahl galt im übrigen auch bei der Überführung dieser Einrichtungen in Nationalpolitische Bildungsanstalten, wobei sich allerdings die Aufnahmekriterien gravierend veränderten. Standen zunächst noch der Versorgungs- oder Wohltätigkeitsaspekt im Vordergrund, insofern als Söhne aus ärmeren nationalsozialistischen Familien bevorzugt wurden, so galten schon bald die Rassemerkmale als entscheidendes Auswahlkriterium. In den Napolas sollte eine rassische Elite erzogen werden, spezielle der Führungsnachwuchs für die leitenden Positionen in Partei und Staat.
Indem die Nationalsozialisten die Napolas als Fortsetzung der Kadettenanstalten ausgaben, usurpierten sie eine Erziehungstradition, die zwar entscheidend durch autoritäre Elemente geprägt, jedoch von den menschenverachtenden Zügen der NS-Pädagogik frei war und sich dadurch deutlich von der Formung der Jugendlichen in den "Musterstätten nationalsozialistischer Gemeinschaftserziehung" unterschied.

Insgesamt handelt es sich bei der von Schmitz vorgelegten Untersuchung um eine vorzügliche, auf breiter Quellenanalyse basierende Arbeit, die unser Wissen über die Kadettenanstalten in der wilhelminischen Ära wesentlich ergänzt und die weitere Entwicklung dieser Institution nach dem Ersten Weltkrieg systematisch darstellt.

(Diese Rezension erscheint auch in "Militärgeschichtliche Mitteilungen")

Erfassungsdatum: 14. 01. 1999
Korrekturdatum: 02. 04. 2004