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HBO Datenbank - Rezension

Rezensent(in): Rittelmeyer, Christian
Rezensiertes Werk: Cuadra, Manuel: Der Kindergarten : seine Architektur in Geschichte und Gegenwart ; Anforderungen an den Kindergartenbau ; aktuelle Beispiele
Erscheinungsjahr: 1999
zusätzl. Angaben zum Rezensenten: Georg-August-Universität Göttingen, Pädagogisches Seminar
Text der Rezension:

Der attraktiv gestaltete, mit zahlreichen, auch farbigen Abbildungen versehene Band soll Beispiele “qualitätsvoller Kindergartenarchitektur“ bieten. Dem Trend, in Zeiten knapper kommunaler Haushaltsmittel standardisierte Fertigteil-Kästen anstelle ästhetisch und individuell gestalteter Kindergarten-Bauten zu erstellen, sollen Beispiele einer humanen Architektur, die sich auf längere Sicht auch durchaus in ökonomischer Hinsicht als sinnvoll erweist, entgegengesetzt werden. Mit dieser Absicht ergänzt der vorliegende, auf deutsche Beispiele beschränkte Bildband den international orientierten und auch auf Schulbauten bezogenen Überblick Walter Kroners “Architektur für Kinder“ (1994). In Cuadras Buch wird aber zusätzlich zunächst auch ein kurzer historischer Abriss der Kindergarten-Architektur gegeben. Das ist verdienstvoll, denn neben den historischen Einblicken in die Schulbaugeschichte etwa Herrmann Langes (1967), Michael Göhlichs (1994) und Michael Freyers (1998) fehlt bisher eine entsprechende Studie zur Kindergartengeschichte. Was bis heute an historischen Hinweisen dazu vorliegt (etwa in Günter Ernings “Bilder aus dem Kindergarten“ (1987) oder in der vom gleichen Autor u.a. verfassten “Geschichte des Kindergartens“ (ebenfalls 1987), ist nicht immer dezidiert auf die architektonische Gestaltung von Kindergärten bezogen, sondern häufig auch auf deren Einrichtung, Spielmaterialien usw.

Auch der vorliegende Band bringt eher einige Beispiele aus der Baugeschichte des Kindergartens als eine systematische Geschichte zur Kenntnis. Diese Beispiele stammen überwiegend aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg; die Schilderung der Zeit davor ist eher ein kurzer Abriss der Geschichte des Kindergartens als seiner Architektur.Die Informationen decken sich weitgehend mit den Hinweisen von Frank D. Hemmer: Tagesstätten für Kinder (1967). Für die 20er Jahre sind einige interessante Beispiele geschildert und insbesondere durch Grundrisse veranschaulicht; Zitatauszüge geben Hinweise auf die damalige Programmatik der Planer. Eine systematische Geschichte der Kindergartenarchitektur liegt aber in diesem historischen Teil dennoch nicht vor. Daher wird man den hier vorgestellten Beispielen auch nur mit grosser Vorsicht Trends der Kindergartenarchitektur entnehmen können. Dennoch ist die hier dokumentierte Dominanz “funktionalistischer und technologischer Baukonzeptionen“ in den 70ern, aber in nuce auch schon in der Bauhaus-Zeit, ein guter Ausgangspunkt für die Frage, wie ein kindgerechter Kindergartenbau beschaffen sein könnte.

Im Hauptteil des Buches werden nun Beispiele verschiedener Kindergartenbauten anschaulich dokumentiert, wobei von warmtönigen Waldorfkindergärten bis zu postmodernen Glas-Stahl-Konstruktionen ein breites Spektrum architektonischer Gestaltungsmöglichkeiten vorgeführt wird. Obgleich der Autor diese verschiedenen Bauten nicht zuletzt auch aus pädagogischer Perspektive nach meinem Eindruck sensibel beschreibt, stimme ich dennoch mit mancher Interpretation nicht überein; einige Beispiele dieser als mustergültig bezeichneten Bauten sind m.E. Ausdruck einer in Wahrheit kinderfeindlichen, technokratischen, kalten und an zeitgenössischen Obsessionen der Architektenzunft gefesselten Architektur. Hier müsste sorgfältiger pädagogisch-anthropologische Analyse einsetzen, um Klärung herbeizuführen. Indessen sind gerade solche Kontraste für die aufklärende Lektüre dieser Beispiele von grossem Nutzen: Im sorgfältigen Vergleich der - nach unserem je individuellen Eindruck - gelungenen oder verfehlten Beispiele kann man sukzessive Kriterien herausarbeiten, die eine “kindgerechte“ Architektur bestimmen. Gerade der Vergleich z.B. verschiedener Flurführungen, Materialien in Klassenzimmern, Treppengestaltungen usw. lässt deutlich werden, unter welchen Bedingungen der Eindruck von Wärme oder Kälte, von Anregungsreichtum oder Monotonie usw. entsteht. Freilich ist die Beantwortung der Frage, unter welchen Bedingungen Bauten “kindgerecht“ sind, auf die Beachtung weiterer Gesichtspunkte angewiesen. So wäre beispielsweise das Bemühen der Vorschulkinder, eine sichere Raumorientierung zu gewinnen, auf die Neigung mancher Architekten zu beziehen, ein verwirrendes Milieu baulicher Schrägführungen zu kreieren: Der vom Autor gelobte, viel diskutierte Kindergartenbau Luginsland bei Stuttgart ist in dieser Hinsicht ein problematisches Beipiel. Insgesamt bietet das Buch insofern zwar ein ausgezeichnetes Schulungsmaterial für die Sensibilisierung der Architekturwahrnehmung im Kindergartenbereich, nicht aber immer pädagogisch schon ganz zufriedenstellende Analysen.

Schlagwörter: Bildungsgeschichte; Vorschulerziehung; Kindergarten; Architektur; Geschichte
Eingetragen von: barkowski@dipf.de
Erfassungsdatum: 08. 01. 1999
Korrekturdatum: 27. 07. 2011