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HBO Datenbank - Rezension

Rezensent(in): Begov, Franz
Rezensiertes Werk: Michael Krüger (Hrsg.):"Eine ausreichende Zahl turnkundiger Lehrer ist das wichtigste Erfordernis...": zur Geschichte des Schulsports in Baden-Württemberg / Institut für Sportgeschichte Baden-Württembergs e.V. - Schondorf: Hofmann, 1999. - 216 S. (Institut für Sportgeschichte Baden-Württembergs e.V. ; 6 : Wissenschaftliche Schriftenreihe); ISBN: 3-7780-3126-0
Erscheinungsjahr: 2002
zusätzl. Angaben zum Rezensenten:
Dr. Franz Begov
Gartenstr. 48
72074 Tübingen

Text der Rezension:
Wer sich für das Schulturnen und den Schulsport interessiert, kann manches Neue aus den in diesem Sammelband publizierten Vorträgen, die 1997 im Rahmen eines Symposiums in Maulbronn gehalten wurden, entnehmen. Facettenreich wird die Entwicklung der schulischen Leibeserziehung in Baden und Württemberg dargestellt. Eingangs wird von den Schwierigkeiten berichtet, im 19. Jahrhundert einen Turnunterricht in diesen Ländern zu etablieren. Am Beispiel der Volksschulen wird deutlich, welche Hindernisse dabei zu überwinden waren. Auch den Gymnasien ging es nicht viel besser, wie das Beispiel des Reutlinger Friedrich-List-Gymnasiums belegt, denn es fehlte an Hallen, Lehrern und ausreichender Übungszeit.

Für die Anfänge des württembergischen Schulwesens ist bemerkenswert, dass die ehemaligen evangelisch-pietistischen Klosterschulen von Blaubeuren, Maulbronn, Schöntal und Urach Wegbereiter für eine systematische Leibeserziehung waren. Nicht zu vergessen die Bemühungen der Theologiestudenten des Tübinger Stifts in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts um eine regelmäßige körperliche Ertüchtigung.

Im zweiten Teil des Bandes werden Pioniere porträtiert, die auf die theoretische und praktische Ausrichtung des Schulturnens Einfluss hatten. In Württemberg war es Jaeger, der die Didaktik und Methodik des Schulturnens als Leiter der 1862 gegründeten Turnlehrerbildungsanstalt in Stuttgart fast ein halbes Jahrhundert prägte. Baden hat in Maul einen vergleichbaren „Vater“ des Schulturnens. Hinzu kommt Sickinger, der vor allem das Mannheimer Schulsystem gestaltete und die um die Jahrhundertwende aufkommenden Neuerungen der Spielbewegung förderte.

Die Entstehung des Mädchenturnens zu skizzieren, ist ebenfalls ein Anliegen dieses Buches. Dabei sollten „Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft, Geschlechterordnung, Sportentwicklung/Bewegungskultur, Schule und Turnunterricht“ beispielhaft thematisiert werden. Die Geschichte des Elisabeth-Gymnasiums Mannheim veranschaulicht die Entwicklung einer „Töchterschule“.

Ein umfangreicher Teil der Veröffentlichung befasst sich mit der rund 100-jährigen Geschichte der Sportlehrerausbildung und der Entwicklung der Universitätsinstitute für Leibesübungen zu sportwissenschaftlichen Einrichtungen (Freiburg, Karlsruhe, Tübingen). Ergänzt wird dieses Kapitel durch eine Baugeschichte der Landesturnanstalt in Stuttgart im 19. und 20. Jahrhundert. Die Chronik des Sportlehrerverbandes Baden-Württemberg stellt den krassen Gegensatz zwischen „Fensterreden der Kultus-Obrigkeiten“ und der nicht zu verkennenden düsteren Realität des Schulsports seit nunmehr 30 bis 40 Jahren heraus.

Der in der Wissenschaftlichen Schriftenreihe des Instituts für Sportgeschichte Baden-Württemberg (1) herausgegebene sechste Band ist in weiten Teilen sorgfältig bearbeitet. Für die Qualität der abgedruckten Tagungsbeiträge sind die Herausgeber nur eingeschränkt verantwortlich. Auffallen hätte ihnen müssen, dass es stellenweise mit der Bilddokumentation hapert. Unverständlich, warum die Geschichte Baden-Württembergs mit bayrischen oder anderen landsmannschaftlichen Quellen belegt wird. Nachlässig wurde etwa mit den Abbildungen aus den Büchern „Bilderwelten der Erziehung“(Schiffler/Winkeler 1991) und „Tausend Jahre Schule“ (Schiffler 1985) umgegangen. Fast wörtlich werden daraus Textteile übernommen, um ein Bild des Schweizer Genremalers Albert Anker auf württembergische Verhältnisse umzubiegen.

Auch zum Titelbild ist Kritik anzumerken: Wie kann man nur ein um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert um Anerkennung ringendes Fach mit einer Karikatur lächerlich machen? Den Herausgebern ist zu empfehlen, sich quellenkritisch einmal mit Bilddokumentationen auseinander zu setzen. Das gilt auch für die dekorative Gestaltung der Innenseiten des Buchumschlags. Schließlich wäre die Einstreuung von Erlassen, amtlichen Verfügungen, Erklärungen von Verbänden oder Lehrplanauszügen schärfer zu überdenken gewesen. Es drängt sich der Eindruck auf, als ob Bilder und Dokumente in dem vorliegenden Band nur der Illustration (im Sinne von Ausschmückung) dienen.

Die Tübinger Abschlussvorlesung von Ommo Grupe, dem Nestor der neueren Sportwissenschaft, in den Band einzufügen ist mehr als fragwürdig: Inhaltlich beschäftigt sich der zwei Jahre nach der Maulbronner Tagung gehaltene Vortrag schwerpunktmäßig mit dem Verhältnis des Faches Sport zur Universität. Auch die Verdienste Grupes um den Schulsport rechtfertigen es nicht, seinen Beitrag als „Highlight“ der Geschichte des Schulsports zuzuschlagen.

Trotz mancher Bedenken können Studierende an Hochschulen und ihre Dozenten brauchbare Einzelinformationen aus den Beiträgen gewinnen; dies gilt natürlich auch für die Schulen selbst.
 

(1) Das Institut für Sportgeschichte (mit Sitz in Maulbronn) wurde 1993 u. a. von Sportverbänden, Hochschuleinrichtungen und dem Land Baden-Württemberg gegründet. Es soll insbesondere die Geschichte der Leibesübungen und des Sports in Baden-Württemberg erforschen und dokumentieren.

Erfassungsdatum: 18. 11. 2002