Die Seiten werden nicht mehr aktualisiert – hier finden Sie nur archivierte Beiträge.
Logo BBF ---
grün und orangener Balken 1   grün und orangener Balken 3

HBO Datenbank - Rezension

Rezensent(in): Schaser, Angelika
Rezensiertes Werk: Gisela Miller-Kipp (Hrsg.):"Auch Du gehörst dem Führer" die Geschichte des Bundes Deutscher Mädel (BDM) in Quellen und Dokumenten. - 2., durchges. Aufl. - Weinheim [u.a.]: Juventa-Verlag, 2002. - 381 S. (Materialien zur Historischen Jugendforschung)
Erscheinungsjahr: 2002
zusätzl. Angaben zum Rezensenten:
Prof. Dr. Angelika Schaser
Historisches Seminar, Universität Hamburg

Text der Rezension:
 

Gisela Miller-Kipp hat eine Quellensammlung zum Thema BDM herausgegeben, die die weibliche Hitlerjugend im NS-Staat in den Mittelpunkt stellt. Während ihrer langjähriger Arbeit zum BDM, zum Reichsarbeitsdienst und zur nationalsozialistischen Erziehung hat Miller-Kipp "14 pralle Aktenordner" Material zusammengetragen, aus denen für den vorliegenden Band 160 Dokumente aus den Jahren 1932 bis 1945 ausgewählt und publiziert wurden. Die Verfasserin unterteilte die Quellen in sieben Kapitel, die sie jeweils in Einführungen vorstellt: 1. Geschichte und Institution des BDM (S. 17-54), 2. Jugendführung - politische Lenkung - pädagogische Propaganda (S. 55-96), 3. Erziehung - Schulung - Berufsbildung und Berufslenkung (S. 97-188), 4. Gesellschaftliche Ausbeutung - politische Instrumentalisierung (S. 189-244), 5. Gesundheitspolitik, Rassenpolitik und Rassenideologie (S. 245-268), 6. Politische Ästhetik: Bilder der Frau und der weiblichen Jugend (S. 269- 302), 7. Die Betroffenheit der Subjekte: Einlassungen und Erinnerungen 1946-1999 (S. 303-324). Ergänzt wird der Band durch ein Verzeichnis der Bilder und Quellentexte, durch ein Quellen- und Literaturverzeichnis, "Personalangaben" (worunter sich kurze biographische Hinweise zu ausgewählten "Funktionären und Funktionärinnen von BDM und HJ sowie zu Autorinnen der Erinnerungskultur" verbergen) sowie einem Personenregister und einem Abkürzungsverzeichnis.

Der Quellenband schafft eine solide Grundlage für die Untersuchung der "anderen Hälfte" der Hitlerjugend und schließt damit eine Forschungs- und Dokumentationslücke. Denn die Forschung hat sich bislang hauptsächlich mit dem männlichen Teil der Hitlerjugend beschäftigt. Miller-Kipp stellt jedes einzelne Dokument in den Einführungen sorgfältig vor bzw. kommentiert es. Selbst wenn man nicht alle Beurteilungen der Herausgeberin teilen mag, so erhebt Miller-Kipp zu Recht den Anspruch, hier eine Quellensammlung vorzulegen, die nicht nur informativ, sondern auch repräsentativ ist (S. 6). Besonders zu begrüßen sind die verschiedenen Graphiken zur Organisation der Hitlerjugend und des BDM im ersten Kapitel, die die Entwicklung der nationalsozialistischen Jugendorganisationen von den Anfängen über die Friedenzeiten bis in den Krieg hinein dokumentieren. Neben Arbeits- und Verhaltensanweisungen, Hinweisen zur Mädchenerziehung und auf die Aufgaben und Pflichten der "Mädel" in der Volksgemeinschaft sowie zahlreichen Dokumenten, die die Leistungen der BDM-Mitglieder widerspiegeln, finden sich auch solche obskure "Reichsbefehle" wie der, mit dem im April 1940 die Sammlung von Frauenhaar zur Herstellung von Filzstoffen angeordnet wurde (Dok. 78). Im Bildteil des 6. Kapitels werden nicht nur die klischeeartigen Bilder blonder, sportlicher, gesunder deutscher Mädchen geboten, sondern auch Bilder "eigener Ästhetik", "mit denen das BDM-Werk ‚Glaube und Schönheit` für sich warb" (S. 272). Während Miller-Kipp diese "unter die bekanntesten Bilder zur Weiblichkeit im nationalsozialistischen Deutschland" zählt (S. 272), sieht die Rezensentin hier allerdings eher Berührungspunkte mit avantgardistischen Tanzbewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Bilddokumente 19, 20, 21). In ihrer Einführung zum 7. Kapitel weist die Herausgeberin zwar auf die wichtigsten Probleme bei der Interpretation autobiographischer Texte hin, bleibt jedoch dem Täter-Opfer-Modell (S. 305) verhaftet. Es bleibt den Lesern dieser Texte jedoch unbenommen, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Miller-Kipps Einführungen sind hilfreich und lassen dennoch Raum für eigenen Interpretationen. Gedacht ist der Band für Laien und Fachleute (S. 9). Eingeschränkt wird der wissenschaftliche Nutzen dieses Buches jedoch durch die Entscheidung der Herausgeberin, die Dokumente "nicht diplomatisch wiederzugeben", was eine stillschweigende und nicht kenntlich gemachte Korrektur der "Schreib- und Sprachfehler" meint (S. 15). Mag dies lediglich den Experten stören, so ist die Entscheidung, über die nichtssagende Fußnote "Personalangabe" auf den Anhang zu verweisen sowie den Fundort der Quelle nur mit einem Kurzzitat zu versehen, für alle Leser mehr als ärgerlich. Manche Belege lassen sich selbst bei sorgfältiger Überprüfung des Einführungstextes und der getrennten Quellen- und Literaturverzeichnisse nicht finden. So ist z.B. der Fundort für den Reichsbefehl "Seid zu stolz, Euch mit den Polen einzulassen" aus dem April 1940 (Dok. 85) nicht rekonstruierbar. Deshalb wünscht die Rezensentin dem Buch eine dritte - korrigierte - Auflage.
 

Anmerkung der Redaktion:
Die Replik von Gisela Miller-Kipp zu dieser Rezension finden Sie hier.

Erfassungsdatum: 12. 11. 2002
Korrekturdatum: 02. 04. 2004