Text der Rezension: |
Das Schlossmuseum Reckahn
(Brandenburg) wurde im Rahmen des Preußenjahres im August 2001 mit
der Dauerausstellung "Vernunft fürs Volk. Friedrich Eberhard von Rochow
im Aufbruch Preußens" eröffnet und lädt zu einer Reise
ins 18. Jahrhundert ein.
Im sanierten Herrenhaus
des ehemaligen Gutsherrn Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805) sind
in bewusst moderner Ausstellungsarchitektur in acht Räumen wesentliche
soziale, ökonomische und pädagogische Projekte sowie der Lebenszusammenhang
des aufgeklärten Bildungs- und Agrarreformers inszeniert. Bestimmend
ist, dass die Ausstellung von den Organisatoren nicht als Gedenkstätte
von Rochows gedacht ist, sondern dass es vielmehr um die Vorstellung eines
Guts- und Domherrn, Agrarreformers und Philanthropen im Kontext der Aufklärung
geht. Die aufklärerische Gedankenwelt in die Gegenwart des Besuchers
zu transportieren, ist ein Anliegen der gesamten Ausstellung.
In zentrale Ideen der Aufklärung
wird der Besucher im ersten Ausstellungsraum, dem Gartensaal, anhand einer
Gesprächsinszenierung eingeführt. "Das aufgeklärte Gespräch",
rekonstruiert aus brieflichen Quellen, wird geführt von v. Rochow,
seiner Frau Christiane Louise (1734-1808), dem Fürsten Friedrich-Franz
von Anhalt Dessau (1740- 1817) sowie von dem Minister Karl Abraham von
Zedlitz (1731-1793). Der Raum wird zudem gestaltet durch die beiden zeitgenössischen
Kupferstiche Daniel Chodowieckis "Aufklärung" und "Toleranz". Beide
großgezogenen Stiche ermöglichen durch die Aktualität ihrer
Ideen einen ersten Brückenschlag in die Gegenwart.
Als Wegweiser in die Räume
zwei und drei, die von Rochow als Agrarreformer darstellen, dient eine
historische Karte mit den Orten seiner Gutsherrschaft.
Im zweiten Raum geht es
thematisch um von Rochows Bemühungen, die Landbevölkerung aufzuklären.
Als "sanfter Modernisierer" (Hanno Schmitt) schaffte es von Rochow, dass
die verarmten Bauern seiner Gutsherrschaft durch Eigeninitiative und Selbsthilfe
ihre soziale Lage verbessern konnten. Die in vier Vitrinen ausgestellten
Zeitdokumente verschaffen einen Einblick in von Rochows Engagement als
Mitbegründer der Märkischen Ökonomischen Gesellschaft zu
Potsdam, die um 1800 zu den größten Wirtschaftsvereinen in Deutschland
gehörte. Von Rochow war über 15 Jahre lang führendes Gesellschaftsmitglied,
unternahm zahlreiche Vorlesungen und Versuche und finanzierte Preisaufgaben
u.a. zur Entwicklung landwirtschaftlicher Geräte. Zudem sind seine
Maßnahmen zum Schutz gegen Feuer und Schriften, die sein Selbstverständnis
als Aufklärer der Bauern dokumentieren, ausgestellt. Eine Ton-Dia-Installation
von Rochows "Märkischen Bauerngesprächen" veranschaulicht seine
Arbeit als Volksaufklärer: Der Bildungssituation der Bauern entsprechend
hatte von Rochow für vier Gesprächssituationen einen Bauernkalender
verfasst, in dem anhand eines für die damaligen Verhältnisse
typischen katechetischen Dialogs, Ratschläge zur Verbesserung der
Landwirtschaft erteilt werden.
Der dritte Raum gibt einen
Überblick über von Rochows ökonomische Versuchstätigkeit.
Seine Ideen z.B. in Bezug auf eine "Obstbaumzucht im Großen", zum
Seidenbau und zur Herstellung deutschen Kaffees aus der Mark sollten Neuerungen
bringen sowie der Ertragssteigerung der Landwirtschaft in der brandenburgischen
Provinz dienen.
Zurück im Gartensaal
dient als Wegweiser zu den fünf bis acht Räumen, die von Rochow
als Bildungsreformer zeigen, ein Patronatsstuhl. Zudem wird auf von Rochows
Tätigkeit als Domherr in Halberstadt verwiesen.
Der vierte, nun pädagogische
Raum ist als Nachbau des "Denklehrzimmers" von Christian Heinrich Wolke
(1741-1825) gestaltet. Ganz im Sinne der philanthropistischen Theorie von
der anschauenden Erkenntnis und dem Erschließen durch Selbsterfahrung
verleiten Schubladen und Gucklöcher zum Selbstentdecken naturwissenschaftlicher
Exponate. In der Mitte des Raumes stehen drei Originalmodelle aus der Dessauer
Lehrmittelsammlung, die Johann Bernhard Basedow (1724-1790) zur Veranschaulichung
von Naturgesetzen bei seinen Schülern eingesetzt hatte. Weitere Aufschlüsse
zur philanthropistischen Erziehungspraxis, die von Rochow maßgeblich
beeinflusste, gibt eine Meritentafel aus dem Dessauer Philanthropin.
Der fünfte Raum steht
unter dem Thema "Freundschaft". Er ist u.a. Ernst Ludwig Christoph Spiegel
zum Desenberg (1711-1785), Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), Christian
Fürchtegott Gellert (1715-1769), Friedericke Eberhardine v. Rochow
(1699-1760, v. Rochows Mutter) gewidmet. Gleichzeitig wird auf den historischen
Kontext verwiesen, in dem sich im Gegensatz zur höfischen Zweckfreundschaft
eine neue Form der aufgeklärten Beziehung entwickelte.
Die Auslage verschiedener
Umarbeitungen des "Kinderfreundes" lässt erahnen, von welcher weitreichenden
Bedeutung von Rochows pädagogisches Hauptwerk in der zeitgenössischen
Pädagogenszene war.
Daran angeschlossen ist
der unter der Überschrift "Besucherströme" stehende sechste Raum,
der den Einzugsbereich der Besucher, die im 18. Jahrhundert nach Reckahn
reisten, demonstriert. Schaubilder und vor allem das Gästebuch dokumentieren,
dass auch zahlreiche prominente Besucher sich vor Ort ein Bild von Rochows
kinderfreundlichen Methoden machen wollten: Johann Joachim Spalding und
Wilhelm Abraham Teller haben sich u.a. hier verewigt.
"Erfahrungen und Wirkungen:
Der Kinderfreund" heißt der siebte Raum. Von Rochows "Kinderfreund"
setzte sich nach seinem Erscheinen 1776 mit großem Erfolg als Lesebuch
durch. Er löste damit die Bibel als erstes Lehrbuch ab und gilt als
Vorläufer der Fibel. Im Mittelpunkt des Raumes befindet sich der "Denktunnel",
der links und rechts aus jeweils drei Vitrinen als "Fenster" besteht und
Wirkungen sichtbar machen soll. Auf der linken Seite wird das Problem der
menschlichen Lebensführung thematisiert, auf der rechten die technisch-naturwissenschaftliche
Entwicklung seit der Aufklärung. Anhand aktueller und historischer
Exponate beider Themenstellungen wird eine Achse zwischen aufklärerischen
Grundfragen und gegenwärtigen Problemen hergestellt. Der Blick durch
die Vitrinen links fällt von modernen Gegenständen auf einen
Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert, der die Entscheidungssituation zwischen
gut und böse klassisch anhand des Motivs der Waage darstellt. Auf
der rechten Seite blickt man von den von Rochow im "Kinderfreund" genannten
Gegenständen für den Unterricht auf die Abbildungen gegenwärtiger
naturwissenschaftlicher Entwicklungen. Weiter werden Weiterentwicklungen
der Rochowschen Reform aufgezeigt, die von Rochows Einfluss auf die Schullehrergesellschaften
des 19. Jahrhunderts sichtbar machen.
Auch im achten Raum "Selbstaufklärung"
geht es darum, die Themen und Ideen der Ausstellung in die Gegenwart der
Besucher zu rücken. Vor verschiedenen Hintergründen u.a. dem
Denklehrzimmer, kann jeder Besucher sich fotografieren lassen und wird
damit zum Subjekt der eigenen Reflexion.
Die Ausstellung ermöglicht
einen sehr anschaulichen Zugang zur Aufklärung. Leben und Werk von
Rochows stehen im Mittelpunkt, immer im Kontext der Aufklärung und
im Bezug auf die Gegenwart. Ganz gleich, ob es sich bei den Besuchern um
Schüler, Studenten, Geschichtsinteressierte oder Wissenschaftler handelt:
die Ausstellung bietet sicherlich für jeden Anknüpfungspunkte.
Sei es als erster exemplarischer Einstieg in die Epoche der Aufklärung
oder aber als Weiterführung und Vertiefung vorhandener Wissensbestände.
Nicht weit vom Reckahner
Schlossmuseum entfernt ist bereits seit 1992 in den originalen ehemaligen
Räumen der Landgnadenschule von Rochows ein Schulmuseum eingerichtet.
Im Mittelpunkt stehen hier von Rochows Verdienste für die preußische
Volksschule und die regionale Schulgeschichte der Mittelmark ab dem 17.
Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein.
Zur Ausstellung im Schlossmuseum
ist ein gleichnamiges Beibuch erschienen. Zu den Themenfeldern "Der aufgeklärte
Gutsbesitzer", "Der Pädagoge" sowie "Wirkungsgeschichte" vertiefen
und erweitern 25 Beiträge und mehr als 250 Abbildungen die museale
Inszenierung. Einige der Beiträge seien im Folgenden hervorgehoben.
Als zukunftsweisenden Gutsherrn beschreibt Hanno Schmitt von Rochow in
seinem Beitrag "Der sanfte Modernisierer Friedrich Eberhard von Rochow:
Eine Neuinterpretation". Der Überblick über ökonomische,
agrarreformerische, sozialpolitische und pädagogische Projekte zeigt,
dass alle Bemühungen unter dem Leitgedanken standen, die verarmte
Landbevölkerung zur Selbsthilfe zu motivieren. Der Ökonom von
Rochow steht im Mittelpunkt der Analyse "‚Beförderung der Nahrungsgeschäfte`
und ‚Bildung des Menschen` - Friedrich Eberhard von Rochow und die Märkische
Ökonomische Gesellschaft zu Potsdam" von Frank Tosch. In leitender
Position innerhalb der Gesellschaft gelang es von Rochow durch regelmäßige
Vorträge, Publikationen sowie durch die Stiftung von Preisgeldern,
Neuerungen in der Landwirtschaft vierzig Jahre vor den Preußischen
Reformen zu realisieren. Antje Sippach zeigt in ihrem Beitrag "Der Halberstadter
Domherr Friedrich Eberhard von Rochow", dass Halberstadt als Knotenpunkt
des weitverzeigten Freundschafts- und Kontaktnetzwerkes von Rochows gesehen
werden kann. Dem bisher noch kaum erforschten Thema "Mädchenerziehung
bei Rochow" widmet sich Christine Mayer. Aus der Untersuchung des pädagogischen
Ansatzes und der Darstellung der Geschlechterverhältnisse in den Lehr-
und Schulbüchern geht hervor, dass Mädchen durchaus in die rationale
Elementarbildung eingebunden waren und im gemeinsamen Unterricht mit den
Jungen landwirtschaftliche Kenntnisse erwarben, die über das eigentliche
hauswirtschaftliche Tätigkeitsfeld hinausweisen. Heinz-Elmar Tenorth
geht am Beispiel der "sokratischen Methode" der Frage nach der Differenz
von aufklärerischer und gegenwärtiger pädagogischer Interaktion
im Unterricht nach. Überlegungen zu Schulanfang und Anfangsunterricht
bestimmen von Rochows pädagogische Konzeption sowie die Praxis in
seinen Schulen. Uwe Sandfuchs belegt die Qualität des Anfangsunterrichtes
in Reckahn und die überzeitliche Bedeutung der Rochowschen Schulreform,
indem er die bildungspolitischen und pädagogischen Zielsetzungen skizziert
und mit der Landschulrealität des späten 18. Jahrhunderts sowie
mit Konzept und Praxis der Grundschule der Gegenwart kontrastiert. Die
Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der Reckahner Schule steht im Mittelpunkt
der Beiträge von Joachim Scholz und Rudolf W. Keck. Während Scholz
das Besucherbuch von Reckahn nach statistischen Gesichtspunkten auswertet,
geht Keck auf die Rezeption der Rochowschen Schulreform ein, die sehr stark
von der Verehrung der "Kultfigur" Pestalozzi dominiert wurde.
Die thematische Vielfalt
und die Interdisziplinarität der Analysen lassen das Buch weit über
einen Beitrag zur von Rochow-Forschung hinausgehen. So ist der Katalog
eine umfassende Aufsatzsammlung zu zentralen Themen der Aufklärung
und der frühen philanthropistischen Erziehungsgedanken, dessen Lektüre
auch ohne den Besuch der Ausstellung nur empfohlen werden kann.
Öffnungszeiten Schloss-
und Schulmuseum:
Dienstag -Freitag 10 bis
17 Uhr
Samstag 10 bis 18 Uhr,
Sonntag 10-17 Uhr
Führungen nach Vereinbarung
Kontakt Schlossmuseum Reckahn:
Dorfstraße 37, 14778
Reckahn, Tel. (033835) 60672/-73, Fax (033835)60665
EMail: schloss.reckahn@t-online.de
Kontakt Schulmuseum Reckahn:
Dorfstraße 23, 14778
Reckahn, Tel./Fax (033835) 40002
Beibuch zur Ausstellung:
Schmitt, Hanno / Tosch,
Frank (Hrsg.): Vernunft fürs Volk. Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805)
im Aufbruch Preußens. Berlin 2001.
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