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HBO Datenbank - Rezension

Rezensent(in): Ruberg, Christiane
Rezensiertes Werk: "Vernunft fürs Volk. Friedrich Eberhard von Rochow im Aufbruch Preußens". Teil der gemeinsamen Landesausstellung der Länder Berlin und Brandenburg im Preußenjahr 2001
Erscheinungsjahr: 2002
zusätzl. Angaben zum Rezensenten:
Christiane Ruberg
Universität Dortmund
E-Mail:cruberg@fb12.uni-dortmund.de

Text der Rezension:
 

Das Schlossmuseum Reckahn (Brandenburg) wurde im Rahmen des Preußenjahres im August 2001 mit der Dauerausstellung "Vernunft fürs Volk. Friedrich Eberhard von Rochow im Aufbruch Preußens" eröffnet und lädt zu einer Reise ins 18. Jahrhundert ein. 
Im sanierten Herrenhaus des ehemaligen Gutsherrn Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805) sind in bewusst moderner Ausstellungsarchitektur in acht Räumen wesentliche soziale, ökonomische und pädagogische Projekte sowie der Lebenszusammenhang des aufgeklärten Bildungs- und Agrarreformers inszeniert. Bestimmend ist, dass die Ausstellung von den Organisatoren nicht als Gedenkstätte von Rochows gedacht ist, sondern dass es vielmehr um die Vorstellung eines Guts- und Domherrn, Agrarreformers und Philanthropen im Kontext der Aufklärung geht. Die aufklärerische Gedankenwelt in die Gegenwart des Besuchers zu transportieren, ist ein Anliegen der gesamten Ausstellung.
In zentrale Ideen der Aufklärung wird der Besucher im ersten Ausstellungsraum, dem Gartensaal, anhand einer Gesprächsinszenierung eingeführt. "Das aufgeklärte Gespräch", rekonstruiert aus brieflichen Quellen, wird geführt von v. Rochow, seiner Frau Christiane Louise (1734-1808), dem Fürsten Friedrich-Franz von Anhalt Dessau (1740- 1817) sowie von dem Minister Karl Abraham von Zedlitz (1731-1793). Der Raum wird zudem gestaltet durch die beiden zeitgenössischen Kupferstiche Daniel Chodowieckis "Aufklärung" und "Toleranz". Beide großgezogenen Stiche ermöglichen durch die Aktualität ihrer Ideen einen ersten Brückenschlag in die Gegenwart. 
Als Wegweiser in die Räume zwei und drei, die von Rochow als Agrarreformer darstellen, dient eine historische Karte mit den Orten seiner Gutsherrschaft.
Im zweiten Raum geht es thematisch um von Rochows Bemühungen, die Landbevölkerung aufzuklären. Als "sanfter Modernisierer" (Hanno Schmitt) schaffte es von Rochow, dass die verarmten Bauern seiner Gutsherrschaft durch Eigeninitiative und Selbsthilfe ihre soziale Lage verbessern konnten. Die in vier Vitrinen ausgestellten Zeitdokumente verschaffen einen Einblick in von Rochows Engagement als Mitbegründer der Märkischen Ökonomischen Gesellschaft zu Potsdam, die um 1800 zu den größten Wirtschaftsvereinen in Deutschland gehörte. Von Rochow war über 15 Jahre lang führendes Gesellschaftsmitglied, unternahm zahlreiche Vorlesungen und Versuche und finanzierte Preisaufgaben u.a. zur Entwicklung landwirtschaftlicher Geräte. Zudem sind seine Maßnahmen zum Schutz gegen Feuer und Schriften, die sein Selbstverständnis als Aufklärer der Bauern dokumentieren, ausgestellt. Eine Ton-Dia-Installation von Rochows "Märkischen Bauerngesprächen" veranschaulicht seine Arbeit als Volksaufklärer: Der Bildungssituation der Bauern entsprechend hatte von Rochow für vier Gesprächssituationen einen Bauernkalender verfasst, in dem anhand eines für die damaligen Verhältnisse typischen katechetischen Dialogs, Ratschläge zur Verbesserung der Landwirtschaft erteilt werden. 
Der dritte Raum gibt einen Überblick über von Rochows ökonomische Versuchstätigkeit. Seine Ideen z.B. in Bezug auf eine "Obstbaumzucht im Großen", zum Seidenbau und zur Herstellung deutschen Kaffees aus der Mark sollten Neuerungen bringen sowie der Ertragssteigerung der Landwirtschaft in der brandenburgischen Provinz dienen.
Zurück im Gartensaal dient als Wegweiser zu den fünf bis acht Räumen, die von Rochow als Bildungsreformer zeigen, ein Patronatsstuhl. Zudem wird auf von Rochows Tätigkeit als Domherr in Halberstadt verwiesen.
Der vierte, nun pädagogische Raum ist als Nachbau des "Denklehrzimmers" von Christian Heinrich Wolke (1741-1825) gestaltet. Ganz im Sinne der philanthropistischen Theorie von der anschauenden Erkenntnis und dem Erschließen durch Selbsterfahrung verleiten Schubladen und Gucklöcher zum Selbstentdecken naturwissenschaftlicher Exponate. In der Mitte des Raumes stehen drei Originalmodelle aus der Dessauer Lehrmittelsammlung, die Johann Bernhard Basedow (1724-1790) zur Veranschaulichung von Naturgesetzen bei seinen Schülern eingesetzt hatte. Weitere Aufschlüsse zur philanthropistischen Erziehungspraxis, die von Rochow maßgeblich beeinflusste, gibt eine Meritentafel aus dem Dessauer Philanthropin.
Der fünfte Raum steht unter dem Thema "Freundschaft". Er ist u.a. Ernst Ludwig Christoph Spiegel zum Desenberg (1711-1785), Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769), Friedericke Eberhardine v. Rochow (1699-1760, v. Rochows Mutter) gewidmet. Gleichzeitig wird auf den historischen Kontext verwiesen, in dem sich im Gegensatz zur höfischen Zweckfreundschaft eine neue Form der aufgeklärten Beziehung entwickelte.
Die Auslage verschiedener Umarbeitungen des "Kinderfreundes" lässt erahnen, von welcher weitreichenden Bedeutung von Rochows pädagogisches Hauptwerk in der zeitgenössischen Pädagogenszene war.
Daran angeschlossen ist der unter der Überschrift "Besucherströme" stehende sechste Raum, der den Einzugsbereich der Besucher, die im 18. Jahrhundert nach Reckahn reisten, demonstriert. Schaubilder und vor allem das Gästebuch dokumentieren, dass auch zahlreiche prominente Besucher sich vor Ort ein Bild von Rochows kinderfreundlichen Methoden machen wollten: Johann Joachim Spalding und Wilhelm Abraham Teller haben sich u.a. hier verewigt. 
"Erfahrungen und Wirkungen: Der Kinderfreund" heißt der siebte Raum. Von Rochows "Kinderfreund" setzte sich nach seinem Erscheinen 1776 mit großem Erfolg als Lesebuch durch. Er löste damit die Bibel als erstes Lehrbuch ab und gilt als Vorläufer der Fibel. Im Mittelpunkt des Raumes befindet sich der "Denktunnel", der links und rechts aus jeweils drei Vitrinen als "Fenster" besteht und Wirkungen sichtbar machen soll. Auf der linken Seite wird das Problem der menschlichen Lebensführung thematisiert, auf der rechten die technisch-naturwissenschaftliche Entwicklung seit der Aufklärung. Anhand aktueller und historischer Exponate beider Themenstellungen wird eine Achse zwischen aufklärerischen Grundfragen und gegenwärtigen Problemen hergestellt. Der Blick durch die Vitrinen links fällt von modernen Gegenständen auf einen Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert, der die Entscheidungssituation zwischen gut und böse klassisch anhand des Motivs der Waage darstellt. Auf der rechten Seite blickt man von den von Rochow im "Kinderfreund" genannten Gegenständen für den Unterricht auf die Abbildungen gegenwärtiger naturwissenschaftlicher Entwicklungen. Weiter werden Weiterentwicklungen der Rochowschen Reform aufgezeigt, die von Rochows Einfluss auf die Schullehrergesellschaften des 19. Jahrhunderts sichtbar machen.
Auch im achten Raum "Selbstaufklärung" geht es darum, die Themen und Ideen der Ausstellung in die Gegenwart der Besucher zu rücken. Vor verschiedenen Hintergründen u.a. dem Denklehrzimmer, kann jeder Besucher sich fotografieren lassen und wird damit zum Subjekt der eigenen Reflexion. 
Die Ausstellung ermöglicht einen sehr anschaulichen Zugang zur Aufklärung. Leben und Werk von Rochows stehen im Mittelpunkt, immer im Kontext der Aufklärung und im Bezug auf die Gegenwart. Ganz gleich, ob es sich bei den Besuchern um Schüler, Studenten, Geschichtsinteressierte oder Wissenschaftler handelt: die Ausstellung bietet sicherlich für jeden Anknüpfungspunkte. Sei es als erster exemplarischer Einstieg in die Epoche der Aufklärung oder aber als Weiterführung und Vertiefung vorhandener Wissensbestände.

Nicht weit vom Reckahner Schlossmuseum entfernt ist bereits seit 1992 in den originalen ehemaligen Räumen der Landgnadenschule von Rochows ein Schulmuseum eingerichtet. Im Mittelpunkt stehen hier von Rochows Verdienste für die preußische Volksschule und die regionale Schulgeschichte der Mittelmark ab dem 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein.

Zur Ausstellung im Schlossmuseum ist ein gleichnamiges Beibuch erschienen. Zu den Themenfeldern "Der aufgeklärte Gutsbesitzer", "Der Pädagoge" sowie "Wirkungsgeschichte" vertiefen und erweitern 25 Beiträge und mehr als 250 Abbildungen die museale Inszenierung. Einige der Beiträge seien im Folgenden hervorgehoben. Als zukunftsweisenden Gutsherrn beschreibt Hanno Schmitt von Rochow in seinem Beitrag "Der sanfte Modernisierer Friedrich Eberhard von Rochow: Eine Neuinterpretation". Der Überblick über ökonomische, agrarreformerische, sozialpolitische und pädagogische Projekte zeigt, dass alle Bemühungen unter dem Leitgedanken standen, die verarmte Landbevölkerung zur Selbsthilfe zu motivieren. Der Ökonom von Rochow steht im Mittelpunkt der Analyse "‚Beförderung der Nahrungsgeschäfte` und ‚Bildung des Menschen` - Friedrich Eberhard von Rochow und die Märkische Ökonomische Gesellschaft zu Potsdam" von Frank Tosch. In leitender Position innerhalb der Gesellschaft gelang es von Rochow durch regelmäßige Vorträge, Publikationen sowie durch die Stiftung von Preisgeldern, Neuerungen in der Landwirtschaft vierzig Jahre vor den Preußischen Reformen zu realisieren. Antje Sippach zeigt in ihrem Beitrag "Der Halberstadter Domherr Friedrich Eberhard von Rochow", dass Halberstadt als Knotenpunkt des weitverzeigten Freundschafts- und Kontaktnetzwerkes von Rochows gesehen werden kann. Dem bisher noch kaum erforschten Thema "Mädchenerziehung bei Rochow" widmet sich Christine Mayer. Aus der Untersuchung des pädagogischen Ansatzes und der Darstellung der Geschlechterverhältnisse in den Lehr- und Schulbüchern geht hervor, dass Mädchen durchaus in die rationale Elementarbildung eingebunden waren und im gemeinsamen Unterricht mit den Jungen landwirtschaftliche Kenntnisse erwarben, die über das eigentliche hauswirtschaftliche Tätigkeitsfeld hinausweisen. Heinz-Elmar Tenorth geht am Beispiel der "sokratischen Methode" der Frage nach der Differenz von aufklärerischer und gegenwärtiger pädagogischer Interaktion im Unterricht nach. Überlegungen zu Schulanfang und Anfangsunterricht bestimmen von Rochows pädagogische Konzeption sowie die Praxis in seinen Schulen. Uwe Sandfuchs belegt die Qualität des Anfangsunterrichtes in Reckahn und die überzeitliche Bedeutung der Rochowschen Schulreform, indem er die bildungspolitischen und pädagogischen Zielsetzungen skizziert und mit der Landschulrealität des späten 18. Jahrhunderts sowie mit Konzept und Praxis der Grundschule der Gegenwart kontrastiert. Die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der Reckahner Schule steht im Mittelpunkt der Beiträge von Joachim Scholz und Rudolf W. Keck. Während Scholz das Besucherbuch von Reckahn nach statistischen Gesichtspunkten auswertet, geht Keck auf die Rezeption der Rochowschen Schulreform ein, die sehr stark von der Verehrung der "Kultfigur" Pestalozzi dominiert wurde.
Die thematische Vielfalt und die Interdisziplinarität der Analysen lassen das Buch weit über einen Beitrag zur von Rochow-Forschung hinausgehen. So ist der Katalog eine umfassende Aufsatzsammlung zu zentralen Themen der Aufklärung und der frühen philanthropistischen Erziehungsgedanken, dessen Lektüre auch ohne den Besuch der Ausstellung nur empfohlen werden kann.

Öffnungszeiten Schloss- und Schulmuseum: 
Dienstag -Freitag 10 bis 17 Uhr
Samstag 10 bis 18 Uhr, 
Sonntag 10-17 Uhr
Führungen nach Vereinbarung
Kontakt Schlossmuseum Reckahn:
Dorfstraße 37, 14778 Reckahn, Tel. (033835) 60672/-73, Fax (033835)60665
EMail: schloss.reckahn@t-online.de
Kontakt Schulmuseum Reckahn:
Dorfstraße 23, 14778 Reckahn, Tel./Fax (033835) 40002

Beibuch zur Ausstellung: 
Schmitt, Hanno / Tosch, Frank (Hrsg.): Vernunft fürs Volk. Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805) im Aufbruch Preußens. Berlin 2001.

Erfassungsdatum: 17. 01. 2002
Korrekturdatum: 02. 04. 2004