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HBO Datenbank - Bericht

Autor: Kriekhaus, Stefan
Titel: Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Interaktionen, Kontinuitaeten und Bruchzonen vom spaeten Kaiserreich bis zur fruehen Bundesrepublik
Erscheinungsjahr: 2001
zusätzl. Angaben zum Autor: Humboldt-Universitaet zu Berlin
Text des Beitrages:
 

(AHF) Das wechselhafte Verhältnis von Wissenschaften und Wissenschaftspolitik vom späten Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik/DDR näher zu bestimmen, war das Thema der Konferenz.
Die Tagung wurde mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft von Rüdiger vom Bruch (Humboldt-Universität Berlin) organisiert und fand im Berliner Harnack-Haus statt. Der Ort war gut gewählt, denn das ehemalige Gästehaus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Dahlem war seit seiner Einweihung Ende der zwanziger Jahre Treffpunkt und Diskussionsforum einer internationalen Wissenschaft-lerelite. Als Tagungsort nationalsozialistischer Wissenschaftler und Offizierskasino der amerikanischen Besatzungstruppen nach 1945, spiegelt das Harnack-Haus nicht zuletzt auch die wechselhaften Geschicke deutscher Wissenschaften im 20. Jahrhundert wider.
Der Zeitrahmen der Tagung vom späten Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik/DDR forderte vor diesem Hintergrund dazu heraus, Brüche und Kontinuitäten im deutschen Wissenschaftssystem genauer zu untersuchen, Besonderheiten herauszuheben und offene Forschungsfragen zu benennen.
Den Blick auf das späte Kaiserreich zu lenken, unterstrich eine spezifisch wissenschaftshistorische Perspektive, die versucht, den zahlreichen paradigmatischen Neuorientierungen in Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften um 1910 Rechnung zu tragen. Die frühe Bundesrepublik und DDR demgegenüber an das Ende der Zeitachse zu setzen, zielte darauf, die Zäsur 1945 wissenschaftshistorisch zu hinterfragen - denn viele der nach 1945 wiedergegründeten Universitäten, Forschungsinstitute und -organisationen knüpften sowohl personell wie organisatorisch an die Vorkriegszeit an.
Nicht zuletzt ging es aber auch darum, die Verstrickungen und wechselseitigen Beziehungen deutscher Wissenschaften mit der nationalsozialistischen Führung genauer zu prüfen. Denn der ursprüngliche Impuls für diese Tagung war von einer Anregung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgegangen, ihre eigene Geschichte über das bisher bekannte Maß aufzuarbeiten. So wies auch deren Präsident, Ernst Ludwig WINNACKER, in seiner Eröffnungsrede auf die offenen Fragen in der Geschichte der DFG hin. Diese müsse sich sowohl ihrer Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus, wie auch der Frage nach personellen Kontinuitäten über ihre Wiedergründung 1949 hinaus kritisch stellen.
Die Konferenz war in vier Blöcke gegliedert, die neben der Eröffnungsveranstaltung die jeweiligen systemspezifischen Besonderheiten wie auch die Übergänge von einem System zum nächsten thematisierten. Grundsätzlich ließe sich fragen, ob nicht eine organisatorische Aufteilung in einzelne parallele Arbeitsgruppen dem disparaten Charakter der deutschen Wissenschaftsgeschichte zwischen Geistes-, Naturwissenschafts-, Medizin- und Technikgeschichte eher Rechnung getragen hätte. Es kann dagegen als einendes Moment verstanden werden, wenn gerade zur Vermeidung weiterer disziplinärer Aufsplitterung der Versuch unternommen wurde, die unterschiedlichen historischen Aspekte von Wissenschaften und Technik in einem Plenum zu diskutieren.
Bereits die Überblicksvorträge von Ulrich WENGENROTH und Mitchell ASH machten das Spektrum des Programms deutlich. Ash erörterte die Bedeutung von Wissenschaften und Politik als Ressourcen füreinander, wobei er "Ressourcen" auf die Vielfältigkeit der Interaktionsformen zwischen beiden Systemen bezog. Der Netzwerkcharakter, der das Verhältnis von Wissenschaften und Politik seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts kennzeichne, mache es notwendig, die wechselseitigen Abhängigkeits- und Legitimationsverhältnisse von Wissenschaft und Politik in einem erweiterten Rahmen zu untersuchen. So seien Autonomie und Kontinuität wissenschaftlicher Organisationen und Institutionen keine Selbstverständlichkeiten, sondern konstruierte Realitäten, die in ihren jeweiligen Kontexten hergestellt und bestimmt worden seien. Die Überprüfung dieser Konstruktionsmechanismen gehöre zu den Aufgaben einer künftigen Wissenschaftsgeschichte.
Ulrich WENGENROTH betrachtete dagegen die deutsche Wissenschaftsentwicklung vor dem Hintergrund ihres Innovationspotentials. Seit etwa 1900 hätten danach Wissenschaften und Technik in Deutschland ihre Forschungsbemühungen auf die Entwicklung und Herstellung von Ersatzstoffen konzentriert, um die eigene Rohstoffarmut kompensieren zu können. Die internationale Isolation Deutschlands im Ersten Weltkrieg verstärkte diese Tendenz. In den nationalsozialistischen Kriegsvorbereitungen wurden wiederum durch Preis- und Abnahmegarantien großtechnische Anlagenprojekte verwirklicht, die nur innerhalb dieses künstlich erzeugten Systems "wirtschaftlich" produzieren konnten. Mit dieser "Wagenburg der Autarkie" hätte sich das deutsche Wissenschafts- und Innovationssystem in einen "selbstgewählten Käfig" (Wengenroth) begeben, dessen Nachwirkungen gepaart mit einem hohen Industrialisierungsgrad noch immer für die deutsche Innovationskultur prägend seien. Die Eingängigkeit dieser Metaphern und die damit verbundene Grundproblematik deutscher Wissenschafts- und Technikentwicklung trugen wohl dazu bei, dass zahlreiche spätere Beiträge auf diese Bilder zurückgriffen.
Im ersten Block "Spätes Kaiserreich und Übergang zur Weimarer Republik" diskutierte Michael HEIDELBERGER die Veränderungen von Weltbildern durch die moderne Physik vor dem ersten Weltkrieg. Die Erschütterung des mechanistischen Weltbildes durch elektromagnetische Äthertheorien und Einsteins Relativitätstheorie schlugen sich in einem lebensphilosophischen Diskurs über das Verhältnis von Wissenschaft und Lebensführung nieder, in dem das Konzept einer wissenschaftlichen Lebensführung umgekehrt worden und in antirationalistische, die Intuition betonende Lebensauffassungen zu Beginn der zwanziger Jahre eingemündet sei.
Mit seinem Beitrag zur Biologisierung des Menschen lenkte Heinz SCHOTT den Blick auf das Verhältnis von Naturwissenschaften und Gesellschaftstheorien. Vor dem Hintergrund sozialdarwinistischer Theorien erzeugten um 1900 die biologischen Wissenschaften im Wechselverhältnis zu Politik, Ökonomie und Kultur eine Interpretationsvorlage für die geistigen Strömungen der Zeit. Naturphilosophische Elemente, gepaart mit einem atheistischen Weltbild, das Wissenschaft zur Religion erhob, lieferten auf dieser Basis die Grundlage für rassenbiologische Diskurse und organizistische Gesellschaftsvorstellungen, die schließlich in die Katastrophe der Euthanasieaktionen im Nationalsozialismus führten. Volker ROELCKE kommentierte diese Darstellung am Beispiel der Entwicklung in der Psychiatrie.
Gangolf HÜBINGER thematisierte in seinem Beitrag Wertekollisionen in den Geisteswissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die wissenschaftlichen Definitionsbemühungen um gesellschaftliche Selbstbestimmung in den Geisteswissenschaften seien eine Reaktion auf eine alle Industrienationen umfassende Krisenerfahrung nach der Jahrhundertwende. An einem Vergleich zwischen geisteswissenschaftlichen Denkrichtungen in Heidelberg und Leipzig erläuterte er konkurrierende Gesellschaftsinterpretationen.
Die vielleicht methodisch interessantesten Ansätze boten die ersten Sitzungen des zweiten Blocks "Weimarer Republik und Übergang zum Nationalsozialismus". Margit SZÖLLÖSI-JANZE eröffnete die Sektion mit einer dem Konzept der Knowledge-Society entlehnten Beschreibung der deutschen Wissenschaftsentwicklung seit dem späten 19. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Republik. Die Erweiterung des deutschen Wissenschaftssystems durch die Gründung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen und die Einbeziehung von Reich, Industrie und Militär in die Wissenschaftsorganisation kennzeichneten danach eine Entwicklung in Deutschland hin zu einer Wissensgesellschaft.
In seinem Kommentar bot Rudolf STICHWEH die Interpretation an, dass Deutschland am Ende der Weimarer Republik weniger eine Wissensgesellschaft als eine Wissenschaftsgesellschaft gewesen sei, die von der Hegemonie wissenschaftlichen Wissens unter Ausschluss anderer Wissensformen geprägt gewesen sei.
Der anschließende Vortrag von Jonathan HARWOOD untersuchte in Erweiterung der Thesen Fritz RINGERS die Veränderungen im deutschen Wissenschaftssystem an den unterschiedlichen intellektuellen Denkstilen von Mandarinen und Experten. Während Ringers Thesen sich auf den Abstieg der deutschen Mandarine konzentrierten, versuchte Harwood mit der Gegenüberstellung von Mandarinen und Experten das Bild eines historischen Transformationsprozesses von Forschertypen zu erweitern. Eine Untersuchung dieser unterschiedlichen Forschertypen könne danach zu einer vertiefenden Betrachtung der fachlichen Ausrichtungen in den einzelnen Wissenschaften beitragen.
In seinem Kommentar erläuterte Jeffrey JOHNSON die Implikationen dieses Modells am Beispiel der Rolle deutscher Chemiker im Ersten Weltkrieg. Ressourcenknappheit und die Umwandlung des Angriffskriegs in einen Stellungskrieg konfrontierte vor allem auch deutsche Wissenschaftler mit neuen Aufgaben. Wenngleich die Bearbeitung dieser Probleme in teilweise neuen institutionellen Kontexten mit interdisziplinären Anforderungen von den Wissenschaftlern sowohl Eigenschaften eines Mandarins wie eines Experten verlangte, hätten die Spezifika dieser anwendungsbezogenen Forschung während des ersten Weltkriegs dennoch vor allem die Entwicklung von Expertenwissen gefördert.
Weitere Beiträge dieser Sektion behandelten die personelle Entwicklung in den Kultusministerien und die Probleme der deutschen Soziologie in der Weimarer Republik und während des Nationalsozialismus.
Die Nachmittagssitzung galt dem deutschen Wissenschaftssystem unter dem Nationalsozialismus. Im ersten Beitrag zu dieser Sektion ging Notker HAMMERSTEIN auf die Veränderung der Wissenschaftslandschaft während des Nationalsozialismus ein. Die von Hammerstein betonten strukturellen Kontinuitäten des Hochschulsystems und seine Einschätzung des Reichswissenschaftsministeriums in Berufungsfragen wurden kontrovers diskutiert.
In seinem Korreferat wies Lothar MERTENS auf die Rolle des nationalsozialistischen Dozentenbundes hin, dessen oftmals subjektiv gefärbte Gutachten bei Berufungsverfahren und Förderanträgen ausschließendes Kriterium sein konnten.
Wolfgang ECKART behandelte anschließend die humanexperimentelle Bakteriologie- und Hygieneforschung im deutsch-japanischen Vergleich. Unter dem Aspekt der Normenentwicklung humanexperimentellen Handelns zeichnete er die Aufweichung wissenschaftlicher und ethischer Normen im Nationalsozialismus nach. Am Beispiel der japanischen Biological-Warfare-Forschung, der zwischen 1936?1945 ca. 8.000 bis 9.000 Chinesen zum Opfer fielen, diskutierte Eckart die Frage, ob es zulässig sei, die auf solche verbrecherische Weise erzielten Ergebnisse unter "normalen" Bedingungen zu verwerten, wie es die USA nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs getan haben. Paul WEINDLING kommentierte den Beitrag mit dem Hinweis auf die Ambivalenzen der Forschungen in den sog. Le-benswissenschaften unter ideologischen Belastungen.
Lutz RAPHAEL ergänzte diese Ausführungen durch das Beispiel der anwendungsorientierten Betriebspsychologie und Eignungsdiagnostik zwischen 1930-1960, in denen er mit der Vorherrschaft von unternehmerischen Rationalisierungszielen einen weniger politisch gewollten als pragmatischen Immunitätsfaktor gegen die weltanschaulichen Ideologien der Nationalsozialisten sah.
Der Frage nach Großforschung im nationalsozialistischen Wissenschaftssystem wandte sich Helmut TRISCHLER zu. Wachstum und Ressourcenkonzentration in der Luftfahrtforschung und in einzelnen Forschungszweigen der Chemie ließen danach in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus Züge von Großforschung erkennen. Mit der Raketentechnologie und Kerntechnik erweiterte sich das Spektrum von Technologien, die unter den Bedingungen des Nationalsozialismus in großtechnischem Stil gefördert wurden. Die polykratische Herrschaftsstruktur des Nationalsozialismus hätte hier allerdings die Herausbildung von Kommunikationsstrukturen verhindert, die für eine erfolgreiche Umsetzung und Koordination der einzelnen Teilbereiche dieser Großprojekte notwendig gewesen wäre.
Die wohl kontroverseste und von mancherlei (konstruktiven?) Missverständnissen durchzogene Debatte der Tagung enspann sich um den letzten Beitrag zu dieser Sektion.
Jürgen REULECKE präsentierte mit einem Referat zur Generationalität und der West/Ostforschung einen Interpretationsversuch, der von einer "Gleichgerichtetheit" der Erfahrungen zweier Generationen ausging. Die erste dieser Generationen umfasste danach die etwa zwischen 1890 und 1900, die zweite die zwischen 1902 und 1913 Geborenen. Für diese Altersgruppen hätte sich in zeitgenössischer Terminologie die Bezeichnung "verlorene Generation" durchgesetzt. Der ersten "verlorenen Generation", die, wie Hannah Arendt beschrieb, in den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs von Knaben zu Männern gereift sei, sei eine zweite ebenso "verlorene Generation" gefolgt, die von den Erlebnissen der Revolution, Inflation und Arbeitslosigkeit geprägt wurde. Die Erfahrungen dieser jüngeren Generation kulminierten in einer auf Veränderung gerichteten Zukunftsperspektive, die wiederum von der älteren Frontgeneration mit den Konzepten eines "neuen Menschen" und der Gewinnung von "Lebensraum" bedient wurde. Exemplarisch beleuchtete Reulecke das Verhältnis dieser beiden Generationen an den Beziehungen zwischen Hans ROTHFELS (geb. 1891) zu seinen Schülern Erich MASCHKE (geb. 1900), Werner CONZE (geb. 1910) und Theodor SCHIEDER (geb. 1908). Das Verhalten dieser jüngeren Generation sei durch Gefühlskälte und Opportunismus bzw. die Bereitschaft zur Anpassung an neue Verhältnisse als generationsspezifische Strategie zur Bewältigung mehrfacher Verlusterfahrung gekennzeichnet. Letztlich liege die Tragik dieser zweiten, jüngeren Generation auch darin, mit dem idealistischen Konzept eines "neuen Menschen" angetreten zu sein und in der Mitte ihres Lebens damit fertig werden zu müssen, einem verbrecherischen Regime zugearbeitet zu haben.
In einem ersten Kommentar zu diesen Thesen erörterte Ingo HAAR kritisch die Möglichkeit, dieses Konzept auf die Wissenschaftler des Generalplans Ost anzuwenden. Geoffrey GILES prüfte die Thesen Reuleckes in einem zweiten Kommentar an den Motivationslagen einer jungen Akademikerschaft in den dreißiger Jahren, sich am studentischen Osteinsatz zu beteiligen.
Scharfe Widerrede gegen Reulecke brachte schließlich Peter SCHÖTTLER vor, der sich gegen einen solchen verallgemeinernden kollektiven Zugang verwahrte und in dieser Art von "langfristigem Determinismus" eine Relativierung und indirekte Entschuldigung der NS-Verbrechen vermutete.
Die letzte Sektion erörterte Entwicklungen in der frühen Bundesrepublik und DDR. Hubert LAITKO eröffnete die Sitzung mit einem Soziogramm Berliner Hochschullehrer und Forscher zwischen 1945 und 1950. Eindrücklich erläuterte er, wie die Berliner Wissenschaftslandschaft bereits in den letzten Kriegsjahren durch die Aussiedlung zahlreicher Forschungsinstitute auseinander fiel. Auch die bisher wenig beachtete Tätigkeit von Wissenschaftlern in der Sowjetunion hätte nach 1945 erheblichen Anteil am Zusammenschmelzen der Wissenschaftlerzahlen in Berlin gehabt. Dem standen nach 1945 nur wenige Remigranten gegenüber. Die sich zuspitzenden Systemgegensätze steigerten dagegen den Bedarf an wissenschaftlichen Fachkräften, so dass zuvor in Entnazifizierungsverfahren ausgeschlossene Forscher auf beiden Seiten allmählich wieder in das Wissenschaftssystem integriert wurden.
Ein konträres Bild des wissenschaftlichen Neubeginns zeichnete Sylvia PALETSCHEK für die von Zerstörungen verschonte Universität Tübingen nach. Tübingen war als eine der ersten Universitäten nach dem Krieg wiedereröffnet worden und hatte zudem von der Aussiedlung einiger Kaiser-Wilhelm-Institute profitiert. Mit diesen organisatorischen Angeboten gelang es der Universität, beschäftigungslose Wissenschaftler in die Stadt zu holen und Schwerpunkte für die zukünftige Entwicklung zu setzen.
Uta GERHARDT betrachtete ergänzend die Wiederanfänge der Soziologie in Heidelberg.
Der anschließende Beitrag Claus-Dieter KROHNS behandelte die Situation von in die USA emigrierten Wissenschaftlern im Hinblick auf Remigrationsbarrieren nach 1945. Von etwa 3.000 nach 1933 entlassenen Wissenschaftler emigrierten rund 1200 in die USA. Unter ihnen hob Krohn besonders eine junge liberale Generation von Sozialwissenschaftlern hervor, die in Amerika für eine moderne problemorientierte Gesellschaftsanalyse gestanden habe. Die mittlerweile im Exil etablierten Wissenschaftler verspürten wenig Neigung, 1945 in ein materiell und moralisch zerstörtes Deutschland zurückzukehren, zumal den Remigranten, wie etwa die Thomas-Mann-Kontroverse 1946 belegt, offene Ablehnung entgegenschlug. Die Remigrationsrate lag demzufolge bei ca. 10?15%.
In seinem Korreferat erläuterte Michael SCHÜRING die Remigrations- und Entschädigungsproblematik in der Kaiser-Wilhelm/Max-Planck-Gesellschaft, die sich zunächst keineswegs selbstverständlich als Rechtsnachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft verstand. Vor allem personelle Kontinuitäten in der Max-Planck-Gesellschaft erschwerten eine Remigration. Ein rückkehrwilliger Wissenschaftler, der 1948 von dem weiter bestehenden Beschäftigungsverhältnis eines nationalsozialistischen Kollegen erfuhr und aus diesem Grund nicht zurückkehrte, bewertete diesen Vorgang nachträglich als "zweite Vertreibung". Weitere Beiträge behandelten die frühe bundesrepublikanische Soziologie sowie die Entwicklung der Koautorenschaft in den Biowissenschaften im 20. Jahrhundert.
Wissenschaften und Wissenschaftspolitik vom späten Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik/DDR: "Ein weites Feld - oder gar ein zu weites Feld?", so hatte es Rüdiger vom BRUCH - Fontane zitierend - in seiner Einführung am Beginn der Tagung formuliert.
Die vielfältigen Interaktionsmechanismen zwischen Wissenschaften und Politik, die Vielzahl der methodischen Zugänge und Interpretationsangebote und die Fülle offener Forschungsfragen machen Akzentuierungen und Schwerpunktsetzungen notwendig. Angesichts dieser Breite des Spektrums steht den Planern eines DFG-Schwerpunktprogramms "Wissenschaftsgeschichte", das ursprünglich die Aufarbeitung der DFG-Vergangenheit bewältigen sollte, eine schwierige und spannende Aufgabe bevor.
(Die Tagungsbeiträge werden 2001 in der Reihe Pallas Athene des Franz Steiner Verlags veröffentlicht.)
Kontaktadresse: Stefan KRIEKHAUS, Humboldt?Universität Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin, e-mail: KriekhausS@geschichte.hu?berlin.de 

Erfassungsdatum: 30. 01. 2001
Korrekturdatum: 02. 04. 2004