Text der Rezension: |
Der Band versammelt Beiträge
einer Tagung, die unter dem selben Titel am 12. und 13. März 1999
am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt a.M. stattfand. Es wurden jedoch
nicht alle Redebeiträge aufgenommen. Auch dafür ist den Herausgebern
zu danken.
Wie im Vorwort erläutert,
hatte es schon im Vorfeld der Tagung unter den Veranstaltern eine intensive
Diskussion über die Beurteilung der DDR-Gesellschaft gegeben. Sogar
der Tagungstitel wurde kurzfristig ein wenig gemildert.
Auch in dem jetzt vorgelegten
Sammelband spiegelt sich die damalige Debatte wider. Sie begleitet die
Kernthese, dass die realsozialistische Diktatur in der DDR wie auch immer
charakteristische psychische Folgen hinterlassen hat. Dies zu erklären
und zu verifizieren konnte daher nicht konfliktfrei vonstatten gehen. Als
Autoren des Bandes wurden überwiegend west- und ostdeutsche Psychiater,
Psychologen und Psychoanalytiker, gewonnen, aber auch eine Historikerin
und ein Politologe. Diese Zusammensetzung verspricht einiges an interessanten,
ildungsgeschichtlich eher unüblichen Zugängen und ungewöhnlichen
Einsichten.
Zunächst fällt
freilich sofort zweierlei auf. Zum einen, dass neben ganz spezifischen
Fragestellungen (z.B. zum Verhältnis von ideologisch-sozialen Bedingungen
und psychischen Erkrankungen) Themen behandelt werden, die auch in der
bildungsgeschichtlichen DDR-Forschung der letzten 10 Jahre eine wichtige
Rolle gespielt haben (insbesondere zum Lehrersein und -verhalten in der
DDR und in den Neuen Bundesländern). Zum anderen wird sehr rasch bestätigt,
dass die jeweiligen Resultate bislang gegenseitig überwiegend nicht
zur Kenntnis genommen worden sind. Hier gibt es erheblichen Nachholbedarf.
Geradezu unverständlich wirkt, dass bislang ostdeutsches Lehrerverhalten
im Prozess der deutsch-deutschen Vereinigung z.T. weitgehend ohne Kenntnisnahme
wichtiger psychologisch-psychoanalytischer Einsichten behandelt und diskutiert
wurde. Aber Ignoranz herrscht unübersehbar auf beiden Seiten. Die
in der hier dokumentierten psychologisch-psychoanalytischen Forschung verwendete
historische/bildungsgeschichtliche Literatur spiegelt überwiegend
in etwa den Stand vom Anfang der neunziger Jahre wider, der ja damals die
Begründung dafür lieferte, DDR-Bildungsforschung ebenso breit
wie intensiv zu fördern. Das aber fügt sich zu einer interessanten
Konstellation: Die Forschungen wurden teilweise von - sogar vorab als unstrittig
bezeichneten - Annahmen über gesellschaftliche Verhältnisse in
der DDR oder über berufsspezifische Bedingungen angeregt, die dann
notwendig mit den eigenen Erkenntnissen in Konflikt gerieten.
So ergab der von Ulrich Bahrke,
Ronald Wittwar und Henrike Wolf unternommene Vergleich von psychotherapiebedürftig
erkrankten Lehrern und DDR-Akademikern weder eine größere Häufigkeit
psychischer und psychosomatischer Erkrankungen noch eine größere
Häufigkeit systembedingter Konfliktauslöser in einer der Gruppen.
Die Hypothese, dass DDR-Lehrer wegen besonders großer staatsideologischer
Einflüsse und politischer Kontrollen unter einem erhöhten psychosomatischen
Erkrankungsrisiko litten, bestätigte sich nicht.
Der Folgebeitrag von Ingrid
Kerz-Rühling, Tomas Plänkers und Rene Fischer zum Verhältnis
von sozialistischer Diktatur und Persönlichkeitsstruktur von Lehrern
wiederum zeigt, dass totalitarismustheoretisch gestützte Vorannahmen
über die DDR für die sehr interessanten und bildungsgeschichtlich
wichtigen Einsichten über das Lehrerverhalten vor, während und
seit dem politischen Umbruch gar nicht vonnöten gewesen wären,
allenfalls, um die Untersuchung zu provozieren oder das eigene DDR-Bild
theoretisch zu formieren. Dass die Forschungsresultate unabhängig
von der Ausgangshypothese sehr beachtlich gerieten und manch bildungsgeschichtlich
ungeklärtes Phänomen aufzuklären vermögen, bedeutet
allerdings wohl auch, dass ein differenzierteres DDR-Bild ebenfalls kaum
Einfluss auf die Untersuchungsresultate gehabt hätte. Gegenseitige
Kenntnisnahme nützte so gesehen wohl vor allem der bildungsgeschichtlichen
DDR-Forschung.
In dem Buch werden aber
auch andere Auffassungen vertreten. Diese stützen sich auf den generellen
Befund, dass trotz verbreiteter starker Thesen über die psychischen
Folgen realsozialistischer Diktatur diese kaum empirisch belegt sind. Das
motivierte den von Elmar Brähler, Jörg Schumacher und Martin
Eisemann beschriebenen, methodisch schwierigen Versuch, Erziehungsverhalten
in der DDR retrospektiv zu erfassen. Eine alles in allem sehr beeindruckende,
geradezu glänzende Studie kommt endlich zu dem Ergebnis, dass die
vielfach geäußerte und öffentlich heftig diskutierte Kritik
an der familiären Erziehung in der DDR nicht länger unbefangen
zu rechtfertigen sei. Zumindest könnten die Befunde das herrschende
Vorurteil erheblich irritieren, wenn es sich denn durch die Resultate von
Forschung beeindrucken läßt.
Aus bildungsgeschichtlicher
Perspektive dürften der nachfolgende Beitrag von Erdmuthe Fikentscher
und Tom Alexander Konzag zu Persönlichkeitsmerkmalen und Familientypologie
ost- und westdeutscher Psychotherapiepatienten sowie Francesca Weils Mikrostudie
über Soziale Verhaltensmuster und ihre Veränderungen im Arbeitsalltag
1970-1997 und ebenso Michael Sebeks Frage: Wo stehen wir mit unseren Patienten?
weniger Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Hingegen verdient der Aufsatz
von Helmut Müller-Enbergs über Motive von DDR-Bürgern, nicht
mit dem Ministerium für Staatssicherheit zu kooperieren, größere
bildungsgeschichtliche Beachtung, allein schon, weil er das Stasithema
in seine historiographischen Schranken weist. War "die DDR ... ein Volk
von `Spitzeln`? Wohl kaum". Aber ein Volk der Verweigerer von Spitzeldiensten
war die DDR angesichts der schätzungsweise 600 000 inoffiziellen und
250 000 hauptamtlichen Mitarbeiter in der Geschichte der DDR auch nicht.
Die sehr unterhaltsam präsentierten Ergebnisse stehen zugegeben am
Beginn systematischer Forschung. Man darf also gespannt bleiben.
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