Text der Rezension: |
Genau 100 Jahre nach Erscheinen
der Umfrage Arthur Kirchhoffs zum Frauenstudium(1) fand im Februar 1997
die Konferenz "100 Jahre Frauen in der Wissenschaft" an der Universität
Bremen statt. Die Veranstalterinnen nahmen dieses Jubiläum zum Ausgangspunkt
einer Rückschau auf die Entwicklung in verschiedenen Fächern.
Die Beiträge waren entsprechend der Kirchhoff-Umfrage geordnet und
verstanden sich auch als Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte. Der jetzt
erschienene Dokumentationsband der Konferenz faßt die inzwischen
erweiterten oder aktualisierten Beiträge zusammen und will, so die
Herausgeberinnen Elisabeth Dickmann und Eva Schöck-Quinteros in ihrer
Einleitung als Grundlage für weiterführenden Austausch dienen.
Der Dokumentationsband spiegelt den Forschungsstand in Deutschland zu den
Anfängen des Frauenstudiums. Die Autorinnen sind Historikerinnen,
Soziologinnen, Medizinerinnen, Naturwissenschaftlerinnen, Juristinnen und
Erziehungswissenschaftlerinnen. Die Auseinandersetzung mit den Anfängen
des Frauenstudiums hat sich von einer Bestandsaufnahme für universitätsinterne
Ausstellungen über das Bemühen um das Sichtbarmachen von Frauen
in der Universitätsgeschichte, meist durch Universitätsfrauenbeauftragte
in Kooperation mit Historikerinnen, zu einem transdisziplinären Forschungsfeld
gemausert, auf dem unterschiedliche Disziplinen sich treffen. Entsprechend
vielfältig sind die methodischen Zugänge. Im vorliegenden Band,
wie auch in der Literatur allgemein, stehen biographische Zugänge,
die im Vorwort bereits als besonders ertragreich hervorgehoben werden (S.
10), deutlich im Vordergrund. Daneben finden sich in diesem Band u.a. Auswertungen
von Universitätsarchiven, zeitgenössischer Literatur und Presse,
statistische Untersuchungen und internationaler Vergleich. Der quantitativ-statistische
Zugang ist jedoch noch immer schwach vertreten, wenn auch nicht mehr gänzlich
verpönt. Das Buch bietet insgesamt eine gelungene Zusammenfassung
der bisherigen deutschen Forschungslage - was nicht weiter verwunderlich
ist, da fast alle exponierten Vertreterinnen dieses Themas an dem Band
beteiligt sind. Gerade auch deshalb, halte ich es als Einstieg in die deutsche
Diskussion um die Geschichte des Frauenstudiums und als Überblick
geeignet. Das Buch enthält eine Fülle biographischen Materials
zu einzelnen Wissenschaftlerinnen und ergänzende, aktuelle Literaturhinweise.
Daher ist es auch als Ausgangspunkt für weitere Forschung zu nutzen.
Die 23 Beiträge gliedern
sich in 6 Abschnitte:
-- Nach einer Einleitung
der Herausgeberinnen betrachtet Ilse Costas die Professionalisierung akademischer
Berufe im internationalen Vergleich.
-- In Teil 1 über das
Frauenstudium in den Sozial- und Kulturwissenschaften beschreiben Heike
Brandstädter den Lebensweg und das Werk Margarete Susmanns (Kulturwissenschaftlerin,
1872-1966) und Elisabeth Dickmann den Hedwig Hintzes (Historikerin, 1884-1942).
Hiltrud Häntzschel nimmt die Wissenschaftsemigration in einen geschlechterdifferenzierenden
Blick. Über Dora Benjamin (Nationalökonomin, 1901-1946) berichtet
Eva Schöck-Quinteros. Theresa Wobbe zeigt an Marianne Weber (1870-1954)
und Mathilde Vaerting (1884-1977) die Unterschiede zwischen informaler
und formaler Einbeziehung von Frauen in die Wissenschaft. Christa Kersting
schließlich untersucht (oder vielleicht im konkreten Fall besser:
sucht) die Akademikerinnen in der Erziehungswissenschaft der Nachkriegszeit
bis 1955.
-- Das Medizinstudium und
der Beruf der Ärztin bilden Teil 2. Marita Krauss stellt in ihrem
Beitrag über Hope Bridges Adams Lehmann (Ärztin, 1855-1916) eine
unermüdliche Streiterin für die Gleichstellung der Frau in Wort,
Schrift, Tat und eigener Lebensführung vor, die dennoch sowohl in
der Medizingeschichte wie in der Geschichte der Frauenbewegung bislang
wenig Beachtung gefunden hat. Die Kliniken weiblicher Ärzte für
Frauen in Berlin (1877-1914) beschreibt Kristin Hoesch und Sabine Schleiermacher
stellt die ärztliche Schulaufsicht als neues Berufsfeld für Ärztinnen
im Kaiserreich und in der Weimarer Republik vor. Wissenschaftspolitik im
Kaiserreich entlang der Trennungslinie Geschlecht untersucht Eva Brinkschulte
anhand der ministeriellen Umfrage zur Habilitation von Frauen aus dem Jahre
1907.
-- Teil 3 behandelt Frauen
in den Naturwissenschaften. Hier betrachtet besonders detailliert Annette
Vogt die Physikerinnen im Berliner Raum von 1900-1945 und Renate Tobies
die ersten promovierten Mathematikerinnen u.a. Marie Vaerting (1880-1964),
Emmy Noether (1882-1935) und Ruth Moufang (1905-1977). Susanne Flecken
beschäftigt sich mit Maria Gräfin von Linden (Biologin, 1869-1936).
Tekla Reimers geht dem Problem wissenschaftlicher Objektivität nach
und beleuchtet Geschlechtsunterschiede aus männlicher und weiblicher
Sicht.
-- Den Studentinnen ist
Teil 4 gewidmet. Wiltrud Ulrike Drechsel schildert auf der Grundlage biographischer
Zeugnisse von Anna Vietor (1860-1929), Käthe Stricker (1878-1979)
und Elisabeth Forck (1900-1988) den Umgang der ersten Studentinnen mit
"den Zumutungen der universitären Herrenkultur und ihrer geschlechtsspezifischen
Sozialisation" (S. 288). Anja Burchhardt beleuchtet das Verhältnis
zwischen russischen und deutschen Medizinstudentinnen (1865-1914) unter
der Frage "Schwestern reicht die Hand zum Bunde?". Marianne Koerner beschreibt
die AStA-Beteiligung der Studentinnenvereine vor dem Ersten Weltkrieg.
Die Anfänge des Frauenstudiums in Würzburg zeichnet Heike Hessenauer
in ihrer Fallstudie zur Entwicklung des Frauenstudiums bis 1939 nach.
-- 100 Jahre BGB, 100 Jahre
Frauenstudium der Rechtswissenschaften ist der Titel des 5. und letzten
Teils. Hier untersucht Beatrix Geisel die ersten Juristinnen in ihrer schwierigen
Position zwischen Frauenbewegung und den Rechtsreformvorschlägen für
das BGB. Ursula Rust fragt nach der Beteiligung von Juristinnen am wissenschaftlichen
Diskurs. Und schließlich sind 100 Jahre BGB für Konstanze Plett
und Sabine Berghahn Anlaß, das Familienrecht als die (un)heimliche
Verfassung des Patriarchats unter die Lupe zu nehmen.
Der Dokumentationsband handelt
laut Untertitel von den Anfängen des Frauenstudiums. Die meisten Beiträge
handeln allerdings eher von Barrieren und Karrieren einzelner Akademikerinnen
im Wissenschaftsbetrieb, denn von Hindernissen und Erfolgen im Studium.
Von daher macht es Sinn, den Studentinnen ein einzelnes Kapitel zu widmen,
wenn es auch auf den ersten Blick unnötig erscheint. Orientiert man
sich an der Struktur des Kichhoff-Gutachtens, wirkt Teil 4 zu den Studentinnen
eingeschoben. Er wäre meiner Meinung nach besser an den Anfang gestellt
worden, so ist die Strukturierung nicht ganz einsichtig.
Die Herausgeberinnen hoffen,
der Band möge auch als Grundlage für eine weitergehenden wissenschaftliche
Diskussion dienen (S. 12). Meiner Meinung nach sind die folgenden Aspekte
des Bandes in dieser Hinsicht besonders interessant:
1.) Geschlechtsspezifische
Vorstellungen und Auswirkungen in einzelnen Disziplinen
2.) Von der Frauengeschichte
zur allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte
3.) Veränderung von
Wissenschaft durch die Beteiligung von Frauen
Zu 1.) Über die Frage
der Beteiligung von Frauen hinaus, scheint es mir besonders fruchtbar zu
sein, die geschlechtsspezifischen Vorstellungen und Grundannahmen näher
zu beleuchten. Dazu zwei Beispiele aus dem Buch:
Im Anschluß an die
amerikanische Forschung der 70er und 80er Jahre, zeigt die Biologin Tekla
Reimers an ihrem Fachgebiet, der Naturgeschichte und natürlichen Evolution
sexueller Unterschiede, sowohl die unvollständigen, verzerrten oder
gar unzutreffenden Ergebnisse der bisherigen männlich dominierten
Forschung wie auch die "blinden Flecken" in gegenwärtigen Gender Studies
(S. 273). Sie verdeutlicht ihre Position an drei Beispielen: dem "Ursprung
der Geschlechter", der "asexuellen Natur des Mutterns" und der "sexuellen
Partnerwahl". Dabei kommt sie zu dem Schluß, daß zum einen
die Biologen und die Sozialwissenschaftler in der Sex-Gender-Debatte schon
begrifflich nicht übereinstimmen. "Die Biologen verstehen unter ‚gender`
erbliche Eigenschaften und die Sozialwissenschaftler soziale Konstrukte."
(S. 279) Zum anderen reicht ihrer Meinung nach die Reduktion auf Sex und
Gender nicht aus, alle Bestandteile der menschlichen sexuellen Fortpflanzung
zu beschreiben (ebd.).
Die Juristinnen Konstanze
Plett und Sabine Berghahn erläutern in einem kurzen Abriß über
die Geschichte des Familienrechts des BGB die Auswirkungen, die dessen
patriarchale Grundhaltung hatte und hat. An den Beispielen: Eherecht, Kindschaftsrecht,
Nichtehelichenrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht, Sexualstrafrecht und Schwangerschaftsabbruch
skizzieren sie die bis heute wirksamen Vorstellungen von Männern und
Frauen im Familienrecht und deren Auswirkungen auf die Möglichkeiten
der Lebensgestaltung von Frauen.
Für zukünftige
Forschung wünsche ich mir mehr Beiträge dieser Art - vielleicht
auch aus den Sozial- und Kulturwissenschaften?
Zu 2.) Das transdisziplinäre
Forschungsfeld "Frauengeschichte in der Wissenschaft" ist noch nicht in
der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte angekommen bzw. aufgenommen. "Die
für die Wissenschaftsgeschichte primäre Frage nach den Bedingungen,
Erkenntnissen und Folgen von Wissenschaft trifft sich nicht ohne weiteres
mit dem politischen Anliegen der historischen Frauenforschung, die Sonderrolle
und fortgesetzte Benachteiligung von Frauen herauszuarbeiten. Die Suche
nach Fragestellungen, die von beiden Disziplinen mit dem gleichen Gewinn
bearbeitet werden können, steckt noch in den Anfängen und verlangt
eine Öffnung der bisher üblichen Denk- und Forschungstraditionen
in Richtung einer Geschlechtergeschichte der Wissenschaft."(2)
Der Beitrag von Theresa
Wobbe ist ein Beispiel für diese Öffnung und Erweiterung der
Blickrichtung: Am Beispiel von Marianne Weber und Mathilde Vaerting zeigt
Wobbe unterschiedliche Formen der Einbeziehung in die Wissenschaft auf.
Sie unterscheidet die informale (Weber als Professorengattin ) und die
formale (Vaerting als Professorin an der Universität Jena ) Mitgliedschaft.
"Diese Unterscheidung ermöglicht (ebenfalls) die Frage, in welcher
Weise die wissenschaftliche Arbeit und die Teilnahme an der Wissenschaft
durch den größeren Rahmen des Wandels von Familie, Wissenschaft
und Geschlechterrollen geprägt war, d.h. welche Wechselwirkung zwischen
der Differenzierung moderner Wissenschaft und der Differenzierung von Familie
und Geschlechterrollen anzunehmen ist und wie sie erforscht werden kann."
(S. 115) Wobbe schlägt vor, soziologische Forschung nach dem Konzept
"science as practice" mit der historischen Perspektive zu verbinden. Damit
könnten Antworten möglich werden auf zwei gegenwärtig interessante
Fragen: "erstens nach der Bedeutung von Organisation und Disziplin für
die Zugangschancen von Frauen und zweitens nach den informalen Mechanismen,
die in Organisationen die Asymmetrien zwischen den Geschlechtern reproduzieren."
(S. 116)
Zu 3.) Der vorliegende Band
geht leider nicht auf die Veränderungen der Wissenschaft und der Universität
durch die Zulassung von Frauen ein, eine Frage, die im Kirchhoff-Gutachten
eine große Rolle spielt. Mir scheint es wichtig, für weitergehende
Auseinandersetzung mit diesem Thema, die spezifischen Forschungsinteressen
von Frauen und ihre Auswirkungen auf die einzelnen Disziplinen in den Blick
zu nehmen. Interessant dabei sind auch Fragen zum weiblichen Beitrag an
geschlechtsspezifischen Vorstellungen der (Natur)Wissenschaft und der Gesellschaft.
"Die Tatsache, daß die große Mehrheit der wissenschaftlich
erfolgreichen Frauen, zumindest in den Bereichen von Naturwissenschaft
und Medizin, das biologistische und mechanistische Paradigma der zeitgenössischen
Wissenschaft mittrugen, bedeutet jedoch meiner Meinung nach mehr als nur
ein Anpassungsphänomen. (...) Neben dem Zwang zur Anpassung bedeutete
das Paradigma der Objektivität auch das Tor zur Integration, wenn
auch um den Preis des Verlustes an weiblicher Identität. Außerdem
spricht einiges dafür, daß Forscherinnen das Potential einer
als wertneutral geltenden Wissenschaft im aufklärerischen Sinne nutzten,
um ehedem unter moralischen Kategorien betrachtete Phänomene weiblicher
Existenz (wie Lernfähigkeit, psychische und physische Belastbarkeit,
Fortpflanzungsverhalten) nach wissenschaftlichen Maßstäben neu
zu definieren. Dieser weibliche Beitrag zur Medikalisierung der Frau wäre
ebenso einer näheren Betrachtung wert wie die Frage nach den Motiven
und Intentionen derartiger Forschung."(3)
Neue Erkenntnisse hierüber
könnten das bisher gezeichnete Bild der ersten Studentinnen und Wissenschaftlerinnen
sinnvoll ergänzen.
Anmerkungen:
(1) Kirchhoff, Arthur: Die
akademische Frau. Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren,
Frauenlehrer und Schriftsteller über die Befähigung der Frau
zum wissenschaftlichen Studium und Berufe. Berlin 1897.
(2) Bleker, Johanna: Frauen
in der Wissenschaft als Gegenstand der Wissenschaftsgeschichte, in: Bleker,
Johanna (Hrsg): Der Eintritt der Frauen in die Gelehrtenrepublik. Geschlechterfrage
im akademischen Selbstverständnis und in der wissenschaftlichen Praxis
am Anfang des 20.Jahrhunderts, Husum: Mathiesen, 1998, hier , S. 8.
(3) Ebd., S. 14.
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